August 31, 2025
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10 Minuten Lesezeit

Der Krieg um Talente in der Künstlichen Intelligenz

... und was er für die Branche bedeuten könnte.
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Blitzzusammenfassung_ (in 30 Sekunden)
  • In der KI-Szene läuft derzeit ein hochintensiver Kampf um Spitzentalente.
  • Eskaliert wurde er durch Meta, welches seit April neun- und zumindest in einem Fall sogar zehnstellige Angebote an Mitarbeiter der Konkurrenz gestellt hat.
  • Damit hat es eine neue KI-Sparte hochgezogen, welche Meta kommerziell voranbringen, aber offenbar auch Grundlagenforschung betreiben soll.
  • Der Vorgang sorgte für Aufregung bei Rivalen wie OpenAI, Google und Anthropic. Gleichzeitig versuchten sie sich demonstrativ gelassen zu zeigen: Die besten Talente würden sich nicht abwerben lassen.
  • Das traf häufig zu: KI-Experten gingen entweder nicht mit Metas Zielen mit oder schätzten die Missionen und Netzwerke bei ihren bestehenden Firmen.
  • Ein wichtiges Element im neuen KI-Talentkrieg: (Reverse) Acquihires, bei welchen entweder ein Team aus einer Firma herausgekauft wird oder gleich die gesamte Firma, aber nur des Humankapitals wegen.
  • Die Dynamik wirft Fragen über die Wettbewerbslage auf und lädt zu Vergleichen zum "Gilded Age" der amerikanischen Industrietitanen ein – mitsamt Anforderungen an Regulatoren.

Der Talentkrieg_

(6 Minuten Lesezeit)

Das Silicon Valley ist harten Wettbewerb gewohnt. Doch was in den letzten Wochen vorgefallen ist, ist selbst für den Geburtsort der modernen Onlinewelt ungewöhnlich. Techkonzerne jagen regelrecht talentierte Experten im Bereich der Künstlichen Intelligenz und locken sie mit gigantischen Vergütungspaketen von ihren Rivalen weg. Und sie kaufen ganze Firmen, nur um deren Mitarbeiter zu gewinnen. Das ist nicht nur ein beachtlicher Vorgang, sondern hat auch Implikationen für die moderne KI-Entwicklung und den Wettbewerb im Feld.

Metas Talentjagd

Es war keineswegs der erste Schlag im "Talentkrieg", doch – um bei der Metapher zu bleiben – die bislang größte Offensive, welche Meta im April begann. Der Techkonzern ist einer der größeren Player in der modernen KI-Branche, doch gehört nicht zum wichtigsten Zirkel. Als eine neue Version des großen Sprachmodells (LLM) Llama im April enttäuschte, schob CEO Mark Zuckerberg die KI-Sparte "AGI Foundations" beiseite und machte die KI-Strategie zur Chefsache.

Eine in dieser Form vielleicht noch nie dagewesene Rekrutierungskampagne begann. Zuckerberg kontaktierte vermutlich Hunderte der prominentesten KI-Talente von Rivalen wie OpenAI, Googles KI-Sparte DeepMind und Anthropic, oft persönlich per E-Mail, SMS oder WhatsApp. Sie fanden sich alle auf einer "Liste" von Meta, welche in KI-Kreisen im Silicon Valley eine gewisse Berühmtheit erlangt hat, da sie die begehrtesten Forscher, Ingenieure und Produktexperten umfasse. Die meisten davon kennen sich, sind in ihren 20ern und 30ern, männlich, und haben Doktortitel von elitären Universitäten. Ihren Platz auf der Liste verdienen sie sich durch Forschungspaper, ihre Zitierungen bei Google Scholar, ihren Erfolg als Entrepreneure oder einen guten Track-Record bei den wichtigsten KI-Labs der Techszene.

Die Summen, mit welchen Meta seine erwählten Talente anlockt, sind astronomisch. Sie reichen in die Hunderte Millionen (auch wenn sie für die meisten im zweistelligen Millionenbereich liegen dürften) und ähneln damit eher Ausnahmetalenten in Sport und Kultur oder Konzernchefs. In einem Fall sei ein sechsjähriges Angebot insgesamt 1,5 Milliarden USD wert gewesen – anscheinend erfolglos. Aktienoptionen an Meta machen meist einen großen Teil aus, was Volatilität hereinbringt, doch das ändert nichts daran, dass die Angebote beachtlich sind.

Für Tech-Talente unterhalb der Führungsebene sind es genau genommen sogar die höchsten Kompensationspakete der Geschichte. Das hängt auch damit zusammen, dass es einfach nicht sonderlich viele KI-Talente an der Spitze gibt: Das Feld war jahrzehntelang eher exotisch und rückt erst seit etwa 2012 langsam in den Mainstream der Öffentlichkeitswahrnehmung vor; die Nachfrage nach KI-Experten übersteigt somit noch das Angebot.

Gut zu wissen: Der bestbezahlte DAX-Konzernchef ist Oliver Blume (VW) mit rund 10,3 Millionen EUR im Jahr 2024.

Nicht nur die Höhe der Jobangebote ist bemerkenswert, auch ihre Art: Meta stellte häufig "explodierende" Angebote, welche binnen weniger Stunden oder ein, zwei Tagen ablaufen. Die Talente hatten nur minimale Zeit, um über die gigantischen, generationsbestimmenden Summen zu entscheiden; das sollte Druck auf sie aufbauen und es ihren Arbeitgebern erschweren, dazwischenzugehen und Gegenangebote zu machen.

Meta scheint damit gewissen Erfolg gehabt zu haben. Es konnte Dutzende KI-Talente gewinnen, häufig relativ prominente Namen. Darunter sind auffällig viele Personalien von OpenAI und Google DeepMind, einige von Anthropic, und einer der wichtigsten KI-Manager von Apple. Das Startup Safe Superintelligence, gegründet von OpenAI-Exilant Ilya Sutskever, konnte Meta zwar nicht wie erhofft vollständig aufkaufen, weil sich Sutskever weigerte, doch Co-Gründer Daniel Gross heuerte an.

Missionaries vs. Mercenaries

Meta konnte allerdings längst nicht alle Einträge auf seiner Liste gewinnen, genauer scheint es anekdotisch recht viele Absagen gegeben zu haben. Zum einen hielten die Rivalen dagegen. Sie sind denkbar verärgert, sprechen von einem "Raubzug" und unterstellen Meta, mit seinen explodierenden Angeboten ihre Mitarbeiter unter Druck zu setzen. Also kommunizieren sie intern Warnungen vor Meta und Empfehlungen zum Umgang (z.B., dass einem Verfallsdatum von Angeboten nicht geglaubt werden soll) und sprechen mit ihren Talenten über bessere Vergütungen.

Dabei geht es selten darum, Metas tiefe Taschen zu kopieren, was viele Firmen gar nicht könnten, selbst wenn sie es wollten. Stattdessen verlassen sie sich darauf, dass ihre Talente praktisch aus gutem Willen und Berufsethos bei ihnen bleiben wollen. Sie sind deswegen verärgert, aber zugleich demonstriert gelassen. "Keine unserer besten Leute haben ihr Angebot angenommen", so OpenAI-CEO Sam Altman Ende Juni. Und Anthropic weigert sich trotz Metas Offensive sogar, seine Gehaltsstruktur anzupassen, um die interne Fairness und Unternehmenskultur nicht zu kompromittieren – spricht aber trotzdem (oder genau deswegen) davon, dass kaum ein Mitarbeiter abgegangen ist.

Das ist weniger naiv, als es klingen mag: Bis vor einigen Jahren war das Feld, wie bereits erwähnt, eher von intellektueller Begeisterung als kommerzieller Relevanz oder öffentlichem Prestige geprägt. Viele KI-Talente in Techkonzernen wären wohl Professoren geworden – doch nirgendwo fanden sie so viel Kapital, Infrastruktur und Freiheit vor wie bei den KI-Labs der Konzerne. Nun identifizieren sie sich häufig mit der Mission und der Arbeitsweise ihrer Firma; und schätzen das intellektuelle und persönliche Netzwerk, das sie dort besitzen.

In der Branche wird zwischen "Missionaries" und "Mercenaries" unterschieden, also Missionare und Söldner: Erstere arbeiten aus intellektuellen oder ideellen Motiven im Feld und wählen sich ihre Firma dementsprechend aus, letztere priorisieren die Vergütung. Die Wahrheit wird bei allen Talenten irgendwo in der Mitte liegen, doch Tatsache ist, dass viele von ihnen Metas astronomische Gehaltserhöhung ablehnten.

Gut zu wissen: Die Unterscheidung zwischen "Missionaries" und "Mercenaries" formulierte der Wagniskapitalgeber John Doerr bereits vor einigen Jahrzehnten; sie war generell auf das Spannungsfeld im Silicon Valley zwischen Forschung, Idealismus und großen Mengen Geld bezogen.

Superintelligenz als ZielMeta wiederum erklärt, dass seine neuen Einstellungen keineswegs einfach nur vom Geld getriebene Söldner sein. Sie würden die hohen infrastrukturellen Kapazitäten schätzen, die Meta ihnen biete, sprich, die Rechenpower. Zudem signalisiert Meta hohe Ambitionen: Die neue KI-Einheit heißt "Superintelligence Labs". Das passt: Der vorherige Name "AGI Foundation" bezog sich auf Artificial General Intelligence (AGI), eine KI, welche äquivalent intelligent zum Menschen ist – nicht nur in bestimmten Domänen wie dem Rechnen (wo Computer die Menschen längst hinter sich gelassen haben), sondern insgesamt.

"Superintelligence" bezieht sich wiederum auf ein noch futuristischeres Konzept einer Intelligenz, welche der menschlichen qualitativ überlegen ist. Als Beispiel mag der Unterschied der menschlichen und Hundeintelligenz herhalten: Menschliche Intelligenz ist nicht nur quantitativ überlegen, sondern völlig anders beschaffen; sie hat eine andere Qualität. Ein ums Tausendfache beschleunigtes Hundegehirn käme immer noch nicht an ein menschliches Gehirn heran. Ungefähr so überlegen stellen sich Vordenker eine ASI, eine Artificial Superintelligence, gegenüber dem Menschen vor.

Für einige KI-Talente dürfte die Ambition einer Superintelligenz (ASI) verlockend gewesen sein. Andere könnte es abgeschreckt haben: Entweder, weil sie eine ASI als gefährlich für die Menschheit bewerten – diesbezüglich existiert eine aufgeregte Debatte im Feld – oder das Ziel als vage und zu abgehoben empfinden.

Der Wettbewerb_

(4 Minuten Lesezeit)

Großbritanniens Premier Keir Starmer trifft Alexandr Wang (rechts), 2025. Quelle: Simon Dawson / No 10 Downing Street, flickr

(Reverse) Acquihires


Die bislang teuerste Einstellung für Meta war, gewissermaßen, Alexander Wang. Um ihn an Bord zu holen, kaufte Meta für über 14 Milliarden USD 49 Prozent an Scale AI, einem Lieferanten von KI-Trainingsdaten. Teil des Deals war, dass der erst 28-jährige Wang zu Meta wechselt – und die neue KI-Sparte des Konzerns anführt.



Metas Anwerbung von Alexander Wang entspricht einer besonderen Art von Operation: einem "Acquhire". Das Portmonteau aus acquisition (Übernahme) und hire (Einstellung) beschreibt es, wenn eine Firma eine andere Firma übernimmt – aber nicht, um ihr Produkt oder ihren Geschäftsbetrieb zu nutzen, sondern lediglich, um ihr Team für sich zu gewinnen. Die übernommene Firma wird nicht selten im Anschluss eingestampft. Bei Scale AI war das zwar nicht der Fall, doch Wangs "Transfer" lässt sich durchaus als Acquihire lesen.



Auch darüber hinaus gerät der Acquihire zum Mittel der Wahl in der Techbranche, vor allem wenn es um KI geht. Anthropic hat beispielsweise Mitte August die gesamte Führungsriege und mehrere hochrangige Experten aus dem Startup Humanloop aufgekauft. Meta versuchte vergeblich, Thinking Machines Lab zu übernehmen (da die Firma noch gar kein Produkt besitzt, ging es dabei offenkundig um einen Acquihire).



Rund um das Startup Windsurf gab es Mitte Juli gar einen regelrechten Aufruhr: Es befand sich monatelang in Gesprächen mit OpenAI über einen Kauf, welcher viele Mitarbeiter reich gemacht hätte, doch plötzlich griff Google zu: Für 2,4 Milliarden USD sicherte es sich nicht nur Zugang zur Technologie des KI-Coding-Startups, sondern übernahm zugleich dessen Führungsriege rund um CEO Varun Mohan – die übrigen Mitarbeiter gingen leer aus. Der Deal mit OpenAI zerfiel; stattdessen wurde ein personell dezimiertes Windsurf von seinem direkten Rivalen Cognition übernommen.

Gut zu wissen: Genau genommen ist es kein Acquihire, wenn eine Firma nicht übernommen wird, wie im Fall von Windsurf oder Scale AI – dann ist in der Szene von einem Reverse Acquihire die Rede.


Der Sinn eines Acquihires ist intuitiv: Manchmal ist das Humankapital einer Firma das Wertvollste für eine andere Firma. Das ist gerade im Feld der KI denkbar, wo Experten relativ rar sind, aber einen großen Unterschied machen. Also wird ein Startup einfach erworben.

Ein neues Gilded Age?

Der "Talentkrieg" im Allgemeinen und Acquihires im Speziellen sind der Ausdruck einer fragwürdigen wettbewerbspolitischen Entwicklung. Eine relativ kleine Zahl von großen Konzernen (z.B. Meta, Google) bzw. etablierten, kräftig finanzierten Spezialisten (z.B. OpenAI, Anthropic) kaufen sich die Talente der KI-Branche ein, im Zweifelsfall, indem sie gesamte Firmen übernehmen und einstampfen.

Das erinnert ein bisschen an das "Gilded Age", das vergoldete Zeitalter der USA. Jene Phase zwischen den 1870ern und frühen 1900ern, als große technologische Entwicklungen immer stärker auf die Wirtschaft durchschlugen und zu rasantem Wachstum, doch auch hoher Ungleichheit führten. An der Speerspitze waren amerikanische Industrielle wie Andrew Carnegie, John D. Rockefeller, Cornelius Vanderbilt und John Pierpont Morgan, welche sich die relevanten Ressourcen und die Infrastruktur der Zeit sicherten, darunter die Ölförderung, die Stahlproduktion und Eisenbahnen. Schwache Regulationen und politische Korruption erleichterten ihnen die Konzentration ökonomischer Macht. Ihre konsequente Konzentration von Marktmacht und das intensive, nicht immer legale oder ethische Vorgehen gegen die Konkurrenz brachten den Industrietitanen der Zeit den Spitznamen "robber barons", Räuberbarone, ein.

Was früher Eisenbahnen und Öl waren, sind heute Datenzentren und KI-Talente. Ob es tatsächlich bereits so weit ist, ein neues "Gilded Age" ausrufen und Tech-CEOs als robber barons bezeichnen zu müssen, ist diskutabel: Eine derart wichtige Rolle könnte die KI in der Wirtschaft einfach noch nicht innehaben, um mit Stahl, Öl und Eisenbahnen vor 125 Jahren vergleichbar zu sein; und ähnlich grenzlegal ist das Verhalten der KI-Anführer bislang nicht. Doch der "Talentkrieg" droht fraglos eine Verengung des Wettbewerbs an. Neue Startups oder auch größere Firmen, die neu in die KI einsteigen, tun sich mangels verfügbarer Talente schwer, mit den etablierten Konzernen zu konkurrieren. Startups müssen Sorge haben, dass ein (Reverse) Acquihire sie irgendwann effektiv zerschlägt. Wagniskapitalgeber könnten ihr Kapital zurückhalten. Innovation könnte gehindert werden.

Das steht allerdings keineswegs fest; die aktuelle Entwicklung könnte unter Umständen Positives haben oder in ihrem Negativen zumindest eindämmbar sein. Zum einen hat die Konzentration von Ressourcen auf einige wenige Unternehmen den Vorteil von Skaleneffekten: Einige Dinge lassen sich erst erreichen, wenn eine große Menge an Ressourcen zur Verfügung steht. Das gilt auch für Innovation. Ein Konzern, welcher zahlreiche Forscher zusammenbringen und mit gewaltigen Rechenkapazitäten ausstatten kann, könnte mehr innovativen Output erreichen, als dieselbe Zahl an Forschern und Datenzentren aufgeteilt auf viele kleinere Unternehmen – doch das ist spekulativ, denn auf der anderen Seite schafft die Konkurrenz durch neue Marktteilnehmer Innovationsdruck für alle Beteiligten. Der abschreckende Effekt auf Startups könnte wiederum dadurch gemildert werden, dass die realistische Chance, von einem Techkonzern aufgekauft zu werden, genug Gründungsanreiz bieten könnte.

Zum anderen können Regulatoren einschreiten und sicherstellen, dass der Wettbewerb erhalten bleibt und kleine Marktteilnehmer (bzw. Neueintritte) eine Chance behalten. Das war es auch, was die Marktmachtkonzentration des Gilded Ages beendete. Gerade beim Humankapital gibt es heute jedoch Nachholbedarf: Übernahmen werden von Wettbewerbsregulatoren kritisch beäugt, doch die Arbeitsmarktmobilität ist heilig und wird kaum reglementiert. Das könnte nicht mehr zeitgemäß sein, wenn Experten zu einer kritischen Ressource geraten. Es mag den Regulatoren verziehen sein: Bislang boten Arbeitgeber noch nie 1,5 Milliarden USD für die Mitarbeiter ihrer Konkurrenten.

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