Das Monatsreview mit drei Mini-Explainern:
Ukraine | Nahost | AfD
(insgesamt 16 Minuten Lesezeit)
Ein wichtiger Moment im Ukrainekrieg_
(5,5 Minuten Lesezeit)

Turbovariante: Das neue US-Hilfspaket verändert den Ukrainekrieg signifikant und macht ein längeres Patt wahrscheinlicher.
Die Ukraine im Abwehrkampf
Die wichtigste Entwicklung im Ukrainekrieg im bisherigen Jahr fand in Washington statt. Das Hilfspaket über 61 Milliarden USD, welches es nach 7 Monaten Verhandlung durch den Kongress geschafft hat, wird den weiteren Kriegsverlauf bedeutsam beeinflussen. Nicht missverstehen: Das bedeutet nicht, dass die Ukraine dank der neuen Unterstützung imstande sein wird, ihr Staatsgebiet zeitnah zu befreien. Doch es verändert die realistischen Pfade des weiteren Kriegsverlaufs signifikant.
Die Ukraine war in das Jahr 2024 in einer prekären Lage gegangen. Die Gegenoffensive im Sommer und Herbst 2023 hatte kein relevantes Ziel erreicht, doch viel gekostet. Personalmängel machten sich immer bemerkbarer, es fehlte der Ukraine an Zehntausenden Soldaten, um die lange Frontlinie zu bemannen und erschöpfte Truppen zu rotieren. Politische Blockaden in den USA und ein Mix aus mangelndem Willen sowie mangelndem Material in Europa zwangen die Ukraine, ihre Munition zu rationieren. Der Feuerkraftnachteil an der Front, welchen Kiew durch seine technologische Überlegenheit teilweise kompensiert hatte, wurde immer gravierender.
Die russische Armee blieb zwar massiv geschwächt – der desaströse Verlauf 2022/23 hatte sie viel Kampfstärke gekostet – doch sie hatte dazugelernt und ihre gravierenden Logistik-, Kommando- und Taktikschwächen verbessert. Mittels überlegener Personalmenge und Feuerkraft erzielte Russland ab Herbst 2023 teuer erkaufte, inkrementelle Fortschritte – doch genügend davon, um potentiell strategisch bedeutsam zu sein. Anfang 2024 fiel Awdiiwka, eine seit 2014 schwer befestigte Frontstadt bei Donezk, und mit ihr auch das Umland. Ein lokalisierter Zusammenbruch der überdehnten ukrainischen Truppen schien denkbar, mit ausreichend Zeit geradezu unvermeidbar. Westliche Beobachter und Präsident Zelensky selbst sprachen offen über eine mögliche Niederlage der Ukraine, deren beeindruckenden Schlachtfelderfolge in der zweiten Hälfte 2022 vergessen schienen. Wladimir Putin sei, so Insider, in bester Laune.
61 Milliarden USD
In diesen Moment tritt das neue Hilfspaket. Seine Dimensionen sind beachtlich: 23 Milliarden USD gehen in das Auffüllen militärischer Bestände, also z.B. Munition für HIMARS-Artillerie. Mit 14 Milliarden USD kauft Washington neue Waffensysteme für die Ukraine. Mit 11 Milliarden USD werden direkte US-Operationen in der Region finanziert, was etwa die Militärberatung und Geheimdienstkooperation umfasst, also ebenfalls schlachtfeldrelevante Tätigkeiten. Weitere 8 Milliarden USD erhält die Ukraine in Form von nichtmilitärischer Unterstützung (siehe Grafik oben).
Die Hilfe wird die russische Offensive mit hoher Sicherheit verlangsamen. Selbst in den Wochen, welche es dauern wird, bis das US-Material durch den ukrainischen Logistikapparat an die Front gebracht wird, kann Kiew bereits rationiertes eigenes Material freisetzen. Womöglich beeinflusst das auch eine mutmaßlich geplante russische Großoffensive im Mai und Juni. Ein rasantes Umschwingen der Kriegsinitiative ist allerdings unwahrscheinlich: Selbst nach dem ursprünglichen Plan, in welchem die Ukraine die jetzigen Gelder bereits Ende 2023 erhalten hätte, galt 2024 als Übergangsjahr: Die Ukraine würde die russischen Angriffe absorbieren, sich neu aufstellen und für Gegenoffensiven 2025 bereit machen. Jetzt geschieht das mit einigen Monaten Verspätung und in einer schlechteren strategischen Ausgangslage.
Eine enorme Verbesserung, doch kein Allheilmittel
Die Hauptaufgabe war und ist für die Ukraine, ihren Personalmangel zu lösen. Dass Kiew dahingehend seine Bemühungen erhöht und das Reservistenalter herabgesetzt hat, ist ein wichtiger Schritt, doch die große Frage ist, wie erfolgreich er sich in mehr Soldaten übersetzt. Die Tatsache, dass Ukrainer künftig auf mehr und bessere Ausstattung setzen können, dürfte der Mobilisierung zugutekommen.
Gelingt es, mehr Soldaten an die Front zu bringen, sind selbst einige positive Pfade wieder greifbar. Eine tschechische Initiative bringt in einigen Wochen 500.000 Schuss Artilleriemunition, ungefähr zeitgleich zu den USA. Großbritannien hat sein bisher größtes Hilfspaket seit Invasionsbeginn angekündigt. Die europäische Rüstungsproduktion könnte ab der zweiten Jahreshälfte endlich anziehen. Russland hat viele Schwächen, welche die Ukraine ausnutzen kann: Die Armee ist zwar groß, doch bleibt schlecht ausgerüstet und schlecht trainiert; viele ihrer besten Einheiten wurden bereits 2022 zerschlagen und seitdem eher behelfsmäßig aufgefüllt. Die russische Militärproduktion hat zwar deutlich zugelegt, doch kann die hohen Bedarfe des Krieges nicht erfüllen, wie Moskau selbst einräumt. Im Herbst 2022 verfeuerten die Invasoren noch bis zu 60.000 Artilleriegeschosse pro Tag, heute sind es rund 10.000 pro Tag. Und modernes Gerät ist aufgrund der westlichen Sanktionen teurer oder unmöglich zu produzieren, weswegen Russland mehrheitlich auf einfacheres Militärgerät oder altes Sowjetmaterial setzt.
Selbst wenn die prekäre Situation stabilisiert werden sollte, steht Kiew vor mehreren schwierigen Fragen. Es muss entscheiden, ob es seine neuen Rekruten einige Monate lang trainiert und gegebenenfalls mehr Gebietsverluste hinnimmt, oder sie bereits nach einigen Wochen Grundausbildung der russischen Offensive in den Weg stellt. Es muss entscheiden, ob es trotz unvollständiger Konsolidierung kleinere Gegenoffensiven versucht, damit die strategische Initiative nicht permanent auf russischer Seite bleibt – sprich, Moskau diktiert, wo, wann und wie gekämpft wird. Und es muss trotzdem vorsichtig mit seinen Beständen umgehen, denn zukünftige Pakete könnten sich ebenfalls verzögern und kleiner ausfallen – und ein Wahlsieg von Donald Trump im November würde dem Krieg einen kräftigen Schock verpassen. In diesem Sinne muss Kiew bei seinen Offensivbemühungen auch den November im Blick behalten: Eine erfolgreiche Offensive erleichtert es Biden und den Pro-Ukrainern im Kongress, die Unterstützung des Landes zu legitimieren; ein Fehlschlag wie im vergangenen Herbst wäre dagegen kritisch.

Große Koalition in Washington
Das US-Hilfspaket verdoppelt die Militärhilfen des Landes an die Ukraine praktisch auf einen Schlag, auch wenn die Leistungen daraus über einige Monate erfolgen dürften. Die Größenordnung entspräche etwa dem, das gesamte deutsche Verteidigungsbudget eines Jahres an die Ukraine zu übergeben – allerdings (fast) komplett in Waffenform, ganz ohne Bürokratie- und Strukturkosten. Der Weg dorthin war bemerkenswert schwierig.
Ein kleines, doch lautstarkes rechtspopulistisches Lager unter den Republikanern verhinderte mit seiner Sperrminorität monatelang, dass das Paket durch den Kongress gehen konnte. Sie drohten Unterhaussprecher und Parteifreund Mike Johnson, dass es ihm den Job kosten würde, wenn er das Paket durchzubringen versuchen sollte. Teilweise stellten sie inkonsistente Forderungen (z.B. das Paket an mehr Grenzschutz zu knüpfen, obwohl dieser einige Wochen zuvor von den Republikanern verhindert worden war), teils lehnten sie es aus isolationistischen oder prorussischen Motiven bedingungslos ab.
Es waren offenbar immer dringlichere Geheimdienstberichte und der Druck durch moderate Republikaner, unter welchen antirussische Positionen die Regel sind, welche Johnson zum Einlenken bewegten, trotz Gefahr für seinen Job. "Ich will auf der richtigen Seite der Geschichte stehen", zitiert ein Parteifreund aus einem Gespräch mit Johnson. Letzten Endes stellte er ein Paket auf, welches zwar einige Konzessionen an die Rechtsaußen bot (ein Sechstel des Pakets besteht aus Krediten, nicht Zuschüssen), doch im Grunde sehr nah an dem war, was die Biden-Regierung seit Herbst 2023 gefordert hatte.
Und weil sich abzeichnete, dass Johnson unter den Republikanern nicht genug Zustimmung hatte, geschah etwas äußerst Seltenes in Washington: Demokraten und Republikaner arbeiteten zusammen und brachten das Paket durch das Unterhaus. Es ist das nächste, was die USA zu einer Großen Koalition besitzen.
Meinungsexplainer zum Ukrainekrieg:
Putins Russland verabschiedet sich aus der Zivilisation (Februar 2022)
Dieser Krieg wird noch lange dauern – und der Westen muss bereit sein (August 2022)
Explainer zum Ukrainekrieg:
ATACMS, HIMARS und Co.: Die Waffen des Ukrainekriegs (September 2023)
500 Tage Krieg in der Ukraine (Juli 2023)
Wagner Aufstand: Die Geister, die du riefst (Juni 2023)
Was ist eigentlich ein Panzer? (Januar 2023)
Die Informationsasymmetrie und der Krieg (März 2022)
Weniger Schatten zwischen Iran und Israel_
(4 Minuten Lesezeit)

Turbovariant: Der Konflikt zwischen Iran und Israel erlebt einen Paradigmenwechsel, auch wenn die "Runde" im April eher harmlos blieb.
Schattenkrieg und strategische Gedulder Initiative
Ein kurzer Panikmoment im Nahen Osten im April: Iran attackierte Israel, zum ersten Mal überhaupt direkt und vom eigenen Staatsgebiet aus. Die whathappened-Redaktion erwog einen impromptu-Explainer, doch entschied sich dagegen (berichtete stattdessen über den Sudan). Ihrer Einschätzung nach war es weniger Notfall als eine nicht gänzlich unerwartete Reaktion im Rahmen einer "Eskalationsetikette".
Kurz zum Kontext: Israel und Iran befinden sich seit Jahrzehnten in einem "Schattenkrieg", welcher einen eigenen Explainer verdienen würden. Die beiden Seiten traktieren sich darin gegenseitig mit Aktionen, welche knapp unterhalb eines kriegerischen Aktes bleiben und für die sich leicht die Verantwortung dementieren lässt. Iran attackiert Israel mithilfe befreundeter Milizen (Proxys) oder eigener Militärkapazitäten, vor allem aus Syrien; Israel bombardiert genannte Proxys und Kapazitäten und tötet alle paar Jahre einen iranischen Atomwissenschaftler. Beide Seiten führen Cyberattacken gegeneinander durch.
Lange verfolgte Iran dabei eine "strategische Geduld" getaufte Linie gegenüber Israel und den USA. Teheran nahm hin, dass Israel im Schattenkrieg deutlich effektiver agierte. Und als die USA 2020 den wichtigen Kommandanten Qassem Soleimani töteten, Anführer der regional und verdeckt agierenden Quds-Brigaden, vergalt Iran das... praktisch gar nicht. Für Teheran war der Grund einfach: Es konnte und wollte sich keinen scharfen Krieg mit Israel und den USA leisten. Militärisch und wirtschaftlich war das Land dazu nicht imstande, dazu kamen regelmäßige Erinnerungen daran, dass das Regime um einen theokratischen Wächterrat und die Revolutiongarden innenpolitisch nicht völlig stabil ist, etwa bei den großen Protesten 2022/23.
Einige Entwicklungen schafften für Teheran mehr Manövrierraum: Das Hochfahren einer heimischen Rüstungsindustrie, die Detente mit Regionalfeinden wie Saudi-Arabien, die finanzielle und politische Unterstützung durch China (welches iranisches Öl abnimmt) und das enge Militärverhältnis mit Russland. Doch die Logik hat sich fundamental nicht geändert, ein Krieg ist nicht in Teherans Interesse.
Die roten Linien wiederherstellen
Der israelische Luftschlag auf das iranische Konsulat in Damaskus, Syrien, bei welchem zwei hochrangige Offiziere der Revolutionsgarden sowie sieben weitere Mitglieder getötet wurden, verkomplizierte die Lage. Israel hat allein seit dem 7. Oktober zwar mindestens 18 Revolutionsgardisten und 250 Kämpfer der Hisbollah (eine iranische Proxymiliz) in Syrien getötet, doch der Schlag auf das Konsulat übertrat für Teheran eine rote Linie. Das Problem ist, dass eine allzu harmlose Reaktion das erneute Signal senden würde, dass Israel und die USA nichts zu befürchten haben, wenn sie iranische Ziele attackieren. Also brauchte es ein klares Zeichen.
Es war ein Balanceakt. Iran wollte ein Zeichen senden, dass es zur Vergeltung bereit sei – "wir sind verrückter, als ihr annehmt", so ein Regierungsinsider – und zugleich einen großen Krieg vermeiden. Also entschied es sich für einen Paradigmenwechsel: Das erste Mal, dass der Schattenkrieg ins Licht gezerrt würde. Statt seine Proxymilizen israelische oder US-Ziele in der Region attackieren zu lassen, wie sonst üblich, feuerte es 170 Drohnen, 30 Marschflugkörper und 120 ballistische Raketen ab – direkt vom eigenen Staatsgebiet aus. Eine bemerkenswerte Größenordnung, doch nicht genug, um den israelischen Raketenschutzschirm zu überwinden, welcher fast sämtliche Geschosse abfing. Der Angriff fand außerdem auffällig langsam statt und wurde den USA angeblich im Vorhinein kommuniziert, auch wenn diese das dementieren. Im Anschluss verkündete Teheran lautstark, dass es zufrieden sei und keine weiteren Attacken plane, insofern Israel von einer Vergeltung absehe.
Alles halb so wild
Zuhause in Iran feierten die konservativen Unterstützer des Regimes die Aktion ausgiebig, während andere Iraner sie als Fehler werteten und Sorge vor einer Eskalation äußerten. In Israel begann derweil eine Diskussion darüber, wie es mit dem Angriff verfahren sollte. Nationalistische Beobachter, darunter die Koalitionspartner von Premier Netanjahu, verlangten eine massive Reaktion. Verbündete aus dem Westen und Partner aus der Region wirkten dagegen auf Jerusalem ein, nicht zu eskalieren. "Nimm den Sieg", sagte US-Präsident Biden offenbar zu Netanjahu. Damit bezog er sich auf die Tatsache, dass Israel hochrangige iranische Militärs getötet und das Vergeltungsbombardement fast vollständig abgefangen hatte, als auch, dass sich Verbündete wie die USA und Großbritannien am Abfangen beteiligt hatten. Selbst Jordanien half mit (was Amman wütende Worte aus Teheran einbrachte). Israel hatte seine militärischen Fähigkeiten und die Funktionsfähigkeit seines Bündnissystems bewiesen. Gut genug?
Die israelische Regierung entschied sich für Ja. Sie wählte eine dermaßen sanfte Vergeltung, dass Iran darauf nicht weiter reagierte und sie medial gar etwas unterging: Israelische Jets flogen in den irakischen Luftraum und feuerten von dort Raketen auf eine Militäranlage nahe Isfahan, wiederum in der Nähe eines Atomforschungszentrums, ab. Die Schäden sind unklar, auch wenn sie auf Satellitenbildern signifikant wirken. Doch die Größe und Relevanz des Angriffs waren überschaubar; am nennenswertesten dürfte das Signal gewesen sein, dass Israel seine Luftstreitkräfte auch außerhalb des iranischen Luftraums gegen den Feind einsetzen kann. Mehr eine Warnung als eine nächste Eskalationsstufe.
Weiterlesen
Saudi-Arabien, Iran und der Deal (2023)
Proteste in Frankreich, Israel und… Iran? (2023)
Iran in Aufruhr (2022)
Iran: Der komplizierte Gottesstaat (2021)
Die AfD und ihre Freunde_
(7 Minuten Lesezeit)

Die AfD und Russland
Turbovariant: Die Verbindungen zentraler Akteure der deutschen Rechtspopulisten nach Moskau und Peking sind bemerkenswert zahlreich und tief. Das dient beidseitigen Interessen.
Die freundliche Linie der AfD zu Russland unter Wladimir Putin ist seit über einem Jahrzehnt erwiesene Sache. Bereits 2014 forderte Ex-Parteichef Alexander Gauland, die "Empfindlichkeiten Russlands" zu beachten, das Land nicht zu schwächen und seine Rolle als "positiver Pate" an "entscheidenden Wegmarken" der deutschen Geschichte anzuerkennen. Ein Jahr später besuchte Gauland in Sankt Petersburg den rechtsextremistischen Ideologen Alexander Dugin, welcher manchmal als Chefideologe Putins bezeichnet wird, was andere Beobachter als übertrieben abtun. 2018 und jüngst 2024 entsandte die AfD "Wahlbeobachter" nach Russland, wo offizielle Wahlbeobachter der OSZE nicht zugelassen sind, um der Krönung Wladimir Putins zu applaudieren. Ein AfD-Abgeordneter, Ulrich Oehme, war in dieser Funktion gar auf der völkerrechtswidrig annektierten Krim (finanziert von Moskau), wo einige Wochen zuvor eine AfD-Delegation zum Besuch gewesen war. Oehme traf knapp anderthalb Jahre später in Minsk Vertreter der "Volksrepubliken" Donezk und Luhansk, also der de-facto russischen Separatistengebiete in der Ostukraine. (Ex-)Spitzenfunktionäre wie Frauke Petry, Jörg Meuthen, Tino Chrupalla und Alice Weidel gaben sich in Moskau zwischen 2017 und 2021 die Klinke. Auch nach der russischen Invasion 2022 blieb das Verhältnis gut. Mitte 2023 nahm Chrupalla an einem Empfang in der russischen Botschaft teil, gemeinsam mit Politikern der Linken und Ex-Kanzler Gerhard Schröder.
Auf unteren Ebenen finden sich sogar direkte Verbindungen zum Geheimdienst. Wladimir Sergijenko, welcher für AfD-Bundestagsabgeordnete und darunter auch Ulrich Oehme arbeitete, tauschte sich in geheimen Chats mit einer russischen Kontaktperson, welche als Agent des Geheimdiensts FSB erkannt wurde, über ein legislatives Vorgehen gegen Ukraine-Unterstützung aus.
Der Bystron-Krah-Skandal
Gut zu wissen: Mehrere Teile des nachfolgenden Textes beziehen sich auf einen neuen Spiegel-Investigativreport zu Verbindungen von AfD-Politikern zu Russland und China. Die whathappened-Redaktion kann dessen Behauptungen nicht im Einzelnen prüfen, doch hält sie grundsätzlich für plausibel.
Bereits Ende März und dann in Ernsthaftigkeit im April brach ein Skandal aus, wonach zwei Spitzenpolitiker der AfD in eine russische Einflussoperation verwickelt gewesen seien. Maximilian Krah, AfD-Spitzenkandidat für die Europawahl, und Petr Bystron, die Nummer 2, hatten der Website "Voice of Europe", welche als russische Propagandaoperation enttarnt wurde, Interviews gegeben. Und Bystron habe laut Informationen des tschechischen Geheimdiensts hohe Geldzahlungen erhalten.
"Voice of Europe" war einige Wochen zuvor in einer Operation mehrerer europäischer Geheimdienste enttarnt worden. Die Plattform sollte in 16 Sprachen prorussische, antiukrainische Positionen verbreiten. Gegründet wurde sie offenbar vom Kreml-nahen ukrainischen Oligarchen Wiktor Medwedtschuk. Er gilt als enger Freund von Wladimir Putin (seine jüngste Tochter hat Putin als Taufpaten) und erhielt schon 2021 Besuch von Krah und Bystron. Gerade zu ersterem scheint er gute Verbindungen zu pflegen. Über Voice of Europe seien an mehrere Politiker der europäischen Rechtsaußen Geld geflossen, so Medienberichte mit Bezug auf den tschechischen Nachrichtendienst, und zwar insgesamt in Höhe von 500.000 bis 1 Million EUR.
Auf einer Aufnahme mit Bystron sei das Rascheln von Geldscheinen zu hören, so ein tschechischer Parlamentarier mit Bezug auf die Geheimdienstaufnahmen. Und der Spiegel berichtet, dass sich Bystron auf den Aufnahmen über die Stückelung der Gelder beschwere, weil sich ein Teil davon – vermutlich hohe Banknoten – nicht "loswerden" ließe, da er in Tankstellen und Geschäften nicht verwendet werden könne. Dazu berichtet der Spiegel von Videoaufnahmen, auf welchen Bystron vom selben Kontaktmann "kleine Pakete" entgegennahm.
Krah geriet währenddessen ins Visier des amerikanischen Geheimdiensts FBI, als er im Dezember für ein Event der Republikaner in die USA reiste. Das FBI befragte Krah zu seiner Freundschaft zu einem anderen prorussischen ukrainischen Oligarchen, Oleg Woloschyn, welcher einst für dieselbe Partei wie Medwedtschuk im Parlament in Kiew saß. Laut Washington war er Teil einer Gruppe von Ukrainern, welche nach Moskaus Willen nach der Eroberung der Ukraine eine prorussische Marionettenregierung in Kiew anführen sollten. Einige Jahre alte Chatnachrichten zwischen Woloschyn und Krah hätten darauf hingedeutet, dass der AfD-Politiker Geld von Woloschyn erhalten habe.
Die Vorwürfe gegen Krah und Bystron könnten beide Korruptionsanklagen nach sich ziehen, doch wären auch ohne einen solchen Vorgang heikel, da sie Einflussnahme durch zutiefst Kreml-nahe Kreise implizieren. Beide Politiker wehren sich energisch, aber etwas verklausuliert: Bystron schien die Vorwürfe gegen sich nie vollends zu dementieren, sondern wütetete gegen eine "von der NATO betriebene Kampagne" (gab laut Spiegel aber vor dem AfD-Bundesvorstand zu, kleine Pakete mit nicht genanntem Inhalt angenommen zu haben); und Krah bot mehrere Erklärungsversuche für die Chats (welche von den Erklärungen Woloschyns abwichen), doch dementierte, dass er Zahlungen oder Ähnliches aus dem Kreml-nahen Umfeld erhalten habe.
Die AfD und China
Im späten April dann der zweite Akt: Ein enger Mitarbeiter Krahs, sein Assistent Jian G., wurde verhaftet, weil er für China im Europaparlament spioniert haben soll. Einige Tage später wurde zudem bekannt, dass Krahs Büro mehrfach geheime Dokumente des Handelsausschusses abrief. Andere EU-Parlamentarier hegten bereits seit Jahren einen Verdacht gegen den Assistenten und auch Krah gilt als auffällig China-nah, was ihm selbst in seiner eigenen Partei nachgesagt wird. Er setzte sich gegen Huawei-Sanktionen und gegen China gerichtete Handelsmaßnahmen ein, und zwar auch solche, welche von seiner rechtspopulistischen Fraktion unterstützt wurden. Er lobte Peking regelmäßig, dementierte Misshandlungen der Uiguren-Minderheit in Xinjiang und beklagte "Anti-China-Propaganda".
Gut zu wissen: Zur Uiguren-Thematik erklärte Krah, dass sich China lediglich dazu entschlossen hätte, Menschen, "die zum einen muslimisch, zum anderen aber ungebildet sind, zwangsweise zu beschulen".
Krah ist nicht der einzige China-nahe AfDler. Der Bundestagsabgeordnete Stefan Keuter beklagte 2021 mittels Kleiner Anfrage die Unruhen in Hongkong und die vermeintliche "Einreisewelle gewaltbereiter Aktivisten", was sich mit der Wortwahl aus Peking deckt. Der Spiegel berichtet, dass Keuters Manöver in abgefangenen Chats zwischen einem Agenten der chinesischen Staatssicherheit und einem belgischen Rechtspolitiker Erwähnung gefunden habe, als Beispiel dafür, wie tief Pekings Arm in den Bundestag reiche.
Autokraten und Populisten
Die Nähe der AfD zu Russland und, in Teilen, zu China ist nicht überraschend. Rechts- und oftmals auch linkspopulistische Parteien in Europa blicken feindselig auf die Nähe Europas zu den USA sowie die EU-Institutionen, lehnen mitunter die (liberale) Demokratie ab oder sind in einem verquer-verschwörungstheoretischen Weltbild verloren. Beispiel Bystron: In der Rede, nach welcher er im Juli 2023 zum AfD-Europakandidaten gewählt wurde, wütete er gegen "Globalisten" (ein latent antisemitischer Kampfbegriff für eine verschwörerische globale Elite), "Gift aus Brüssel", George Soros und Bill Gates. "Wir kämpfen gegen die Kriegstreiber, die Globalisten, die uns zwangsimpfen wollen, enteignen wollen, versklaven wollen", so Bystron damals. Das war selbst in der AfD umstritten, doch traf offenkundig auf ausreichend Zustimmung. Neben dem ideologischen Fit locken Moskau und Peking mit praktischer Unterstützung und politischer Aufwertung – sowohl für die Parteien selbst als auch für die opportunistischeren Funktionäre in ihnen. Beispiel: Parteichef Chrupalla freute sich 2020 über einen Besuch beim russischen Außenminister: "Lawrow nannte unsere AfD eine bedeutende Kraft".
Für Russland und China erschließt sich die Logik zugunsten einer AfD-Nähe schnell. Beide Länder nutzen die AfD, um freundlichere Narrative zu platzieren, ihre politischen Präferenzen im Bundestag oder Europaparlament voranzutreiben, Regierungsprozesse und öffentliche Diskurse zu stören, Zugang zu nicht-öffentlichen Informationen zu erhalten und sich zu legitimieren (z.B. im Fall der "Wahlbeobachter").
Der Spiegel berichtet von einem Dokument in Moskau namens "Manifest", welches gewissermaßen eine AfD-Strategie des Kremls formuliert, mitsamt Ideen für die Partei. Es sei im September 2022 entstanden und habe als Ziel, "ein neues Konzept für die Partei Alternative für Deutschland zu entwickeln, um ihre Umfragewerte zu steigern und bei Wahlen auf allen Ebenen eine Mehrheit zu erreichen", wie der Spiegel einen westlichen Geheimdienst zitiert. Das Papier formuliere für die AfD apokalyptische und zutiefst populistische Narrative, welche tatsächlich zum Duktus der Partei passen: "Die Bevölkerung des Landes befindet sich am Rande der Katastrophe", heißt es da beispielsweise als Formulierungshilfe an einer Stelle, "Ungebildete Politiker, die nicht in der Lage sind, die Folgen ihrer Entscheidungen zu kalkulieren, haben Deutschland in einen Konflikt mit Russland hineingezogen, einen natürlichen Verbündeten unseres Landes und unseres Volkes", an einer anderen Stelle. Einige Vorschläge reichen ins Exotische: Die AfD könne sich zu "Deutsche Einheit" umbenennen und Koalitionen mit der Linken anstreben.
Ob die Partei überhaupt vom "Manifest" wusste, ist unklar. Mutmaßlich auffällig ähnliche Sprachelemente zwischen Dokument und AfD-Reden, etwa vom Rechtsextremisten Björn Höcke (bis hin zu Wortgleichheit, so der Spiegel), könnten eher Ausdruck fähiger Populismusversteher im russischen Propagandaapparat als einer strukturellen Zusammenarbeit sein. "Dasselbe ist nicht das gleiche", so Höckes lakonische Antwort auf eine Anfrage des Spiegels.
Die heutige AfD als "fünfte Kolonne", also vom Ausland gesteuerte, subversive Kraft, zu bezeichnen, geht nach aktueller Beweislage zu weit. Die dezent kolloquiale Einstufung als "nützliche Idioten", welche nicht realisieren, dass sie gegen ihre eigenen (in diesem Fall: die deutschen) Interessen arbeiten, trifft womöglich besser zu. Doch wie auch immer man es drehen und nennen mag, zwischen der AfD und Russland besteht eine informelle strategische Partnerschaft. Zu tief und zu weit reichen die Kontakte, die Unterstützung, die unangenehmen Zufälle, um zu einem anderen Schluss zu gelangen.
Die Aktienmärkte_
Die Aktienmärkte_
Index: 30-Tage-Entwicklung (seit Jahresbeginn)
Dax 40: -1,79% (+8,30%)
S&P 500: -3,94% (+1,39%)
Dow Jones: -2,94% (+7,53%)
Nasdaq 100: -2,94% (+7,10%)
Nikkei 225: -5,56% (+13,96%)
MSCI World ETF (iShares): -3,14% (+4,87%)
Bitcoin: -9,32% (+48,51%)
Stolpersteine bei den amerikanischen Inflationsdaten drücken einen ansonsten starken Einstieg ins Börsenjahr: Anleger stellen sich zunehmend auf länger höhere Leitzinsen ein, was sich negativ auf die Aktienmärkte und spekulative Assets wie Bitcoin auswirkt. Der Israel-Iran-Moment blieb dagegen fast vernachlässigbar.
Quelle: Google Finance, onvista