Blitzzusammenfassung_ (in 30 Sekunden)
- Im Sudan herrscht seit 2023 ein schwerer Bürgerkrieg mit Hunderttausenden Toten und Millionen Vertriebenen.
- Die RSF-Miliz unter einem Warlord bekriegt sich mit der Armee.
- Während die Armee das Zentrum des Landes weitestgehend zurückerobern konnte, haben sich die RSF im westlichen Darfur festgesetzt und konsolidiert.
- Darfur ist seit langem das Epizentrum eines kulturell-ethnischen Konflikts zwischen Arabern – meist halbnomadische Hirten – und Schwarzafrikanern – häufig sesshafte Bauern.
- Das eskalierte in den Darfurkrieg von 2003 bis 2020, in welchem die arabische Janjaweed-Miliz, unter Ägide der Regierung, genozidale Verbrechen an der nichtarabischen Bevölkerung in Darfur verübte.
- Die RSF, ein direkter Nachfolger der Janjaweed, scheinen nun ebenfalls massenhafte Verbrechen in Darfur zu verüben.
- Im Oktober 2025 eroberten sie die Großstadt al-Fasher; fast umgehend folgten Berichte über Verbrechen. Einige Beobachter ziehen bereits Vergleiche zum Ruanda-Genozid.
- Darüber hinaus macht die Eroberung eine faktische Spaltung des Sudans in einen Osten und einen Westen wahrscheinlicher.
Der Kontext_
(4,5 Minuten Lesezeit)
Der Weg zum Putsch
Die whathappened-Redaktion widmete dem Sudan bislang zwei Explainer. Im ersten, Sudan am Scheideweg, erklärten wir den Weg des Landes bis hin zu einem Militärputsch im Jahr 2021. Auf die Unabhängigkeit von Großbritannien 1956 folgten nur zwei Jahre Demokratie, bis ein General die Macht ergriff und den Sudan vom säkularen zum politisch-islamischen Land verwandelte. Misswirtschaft und Repressionen führten 1986 zu einer Revolution und einer erneuten Demokratie, welche diesmal ganze drei Jahre durchhielt. Oberst Omar al-Baschir putschte sich dann an die Macht.
Baschir regierte den Sudan 30 Jahre lang, bis 2019. Unter ihm wurde die Scharia, das islamische Recht, noch strenger ausgelegt, die Repressionen nahmen zu, die bürgerlichen Freiheiten schrumpften und die Macht im Land war auf einige wenige Männer im Sicherheitsapparat und in Baschirs Stamm verteilt. Gepaart mit einer jahrzehntelangen Misswirtschaft führte das 2019 zu Massenprotesten (ausgelöst von einer radikalen Abwertung der Währung), welche das Militär nutzte, um Baschir abzusetzen.
Die Generäle dachten anfangs nicht daran, die Macht zu teilen, doch die Protestler hielten beachtlich konsequent an demokratischen Forderungen fest. Es kam zu einigen Massakern, bevor Armeechef Abdel Fattah al-Burhan vor dem öffentlichen Unmut einlenkte. Ein "Souveräner Rat" wurde gebildet, welchem Militärs und Zivilisten angehörten, und welcher den demokratischen Übergang begleiten sollte. Vermutlich stimmte Burhan dieser Teilung auch zu, weil er sie als Weg sah, einen gefährlichen Rivalen zu verwalten – dazu gleich mehr.
Sudan am Scheideweg: Mehr zur Geschichte des Sudans und den Entwicklungen bis zum Selbstputsch 2021.
Anfangs herrschte vorsichtiger Optimismus. Die Protestbewegung schien gut organisiert und motiviert; einflussreiche Organisationen wie Berufsverbände unterstützten sie. Der Übergangsrat erließ eine Reihe positiv stimmender Maßnahmen. Das Ausland lockerte im Gegenzug die heftigen Sanktionen gegen das Land. Schon im Oktober 2021 endete die Eintracht jäh: Das Militär unter Baschir vertrieb die zivile Seite, bevor sie dieser gemäß Übergangsplan mehr Macht einräumen musste, und übernahm die Kontrolle vollständig. Nach kurzem Hin und Her mitsamt Massenprotesten gelang es der Junta, sich zu konsolidieren. Der Sudan war in der Hand des Militärs, so wie fast immer in seiner Geschichte.

Der Weg zum Bürgerkrieg
Stabilität brachte die Junta nicht, im Gegenteil. Ein Machtkampf zwischen zwei militärischen Fraktionen brach aus. Auf der einen Seite der erwähnte Armeechef Abdel Fattah al-Burhan, welcher den Sudanese Armed Forces (SAF) vorstand. Auf der anderen Seite war Mohamed Hamdan Dagalo (auch "Hemeti" genannt), welcher die Rapid Support Forces (RSF) anführte.
Die RSF waren einst vom Langzeitdiktator Baschir eingerichtet worden, als ausdrückliches Gegengewicht zu den SAF. Die "unabhängige Sicherheitsgruppe", sprich Privatarmee, sollte Baschir gegen einen Militärputsch absichern. Für seine Dienste erhielt Hemeti Goldminen in Darfur übertragen, was ihn zu einem der reichsten Männer des Landes machte. Seine Ambitionen gingen noch weiter: Er baute die RSF in Sachen Personal und Schlagkraft aus, ließ sie im Jemenkrieg trainieren und vertiefte die Verbindungen in die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) sowie nach Russland.
Dass der Sudan zu klein war, um Burhan und Hemeti mit ihren jeweiligen Armeen zu beherbergen, war von Anfang an klar, auch wenn sie es versuchten, anders aussehen zu lassen. Beide nahmen 2019 an der Absetzung Baschirs teil (auch wenn Hemeti und die RSF ihn anfangs beschützten und Protestler attackierten), beide hielten Führungspositionen im Übergangsrat und beide kooperierten beim Selbstputsch gegen besagten Rat im Jahr 2021. Doch bei den Gesprächen, wie RSF und SAF zusammengelegt werden sollten und wer sie anführen würde, schien eine Einigung zu keinem Zeitpunkt realistisch.
Also brach 2023 ein Bürgerkrieg aus. Die RSF hatten im Frühjahr 2023 einige Wochen lang bedrohliche Manöver durchgeführt, etwa landesweit Truppen mobilisiert, und im April den Erstschlag gegen die SAF getätigt. Seitdem, also seit zweieinhalb Jahren, läuft der schwerste Bürgerkrieg und der nach bestimmten Metriken wohl schwerste bewaffnete Konflikt der Welt. Vermutlich Hunderttausende Menschen wurden in den Kampfhandlungen getötet (es gibt keinerlei präzise Zahlen), lokale Medien schätzen allein die Zahl der an Mangelversorgung gestorbenen Kinder auf über 500.000, mindestens 8,8 Millionen Menschen wurden inländisch vertrieben und weitere 3,5 Millionen sind ins Ausland geflohen.
Der Bürgerkrieg 2023 – (heute)
Das Epizentrum der Kämpfe war lange Zeit das Zentrum des Sudans, inklusive der Hauptstadt Khartum. Anfangs schienen die RSF die Oberhand zu haben: Sie kontrollierten große Teile Khartums (die SAF-Führung zog sich nach Port Sudan, weit im Osten am Roten Meer gelegen, zurück) und marschierten vor in der zentralen Region Kordofan sowie Jezira, dem "Brotkorb" des Sudans und Zugangspfad zum SAF-kontrollierten Osten des Landes. Die Miliz hatte zwar weniger schweres Gerät als die Armee, war aber offenkundig kampferfahrener, taktisch versierter und mobiler.
Die Stunde Null des Sudan: Mehr zum ersten Jahr des Bürgerkriegs, den RSF und internationalen Akteuren.
Im Jahresverlauf 2024 wandte sich das Blatt allmählich und die SAF verbuchten wieder mehr Fortschritte. Zu diesem Zeitpunkt erschien unser zweiter Explainer, "Die Stunde Null des Sudan", welcher pünktlich zum ersten Jahrestag die Dynamik im Krieg beleuchtete und das Erstarken der Armee erklärte. Es sollte jedoch noch ein weiteres Jahr bis März 2025 dauern, bis die SAF die Hauptstadt Khartum wieder zurückeroberte – und Burhan erstmals wieder den Präsidentenpalast betrat.


Eine wichtige Komponente war die Rolle des Auslands. Die RSF wurden massiv von den VAE und von Russland unterstützt. Abu Dhabi lieferte Militärgerät via den Tschad, Moskau via seines befreundeten Warlords im Osten Libyens und der im Land operierenden Söldnergruppe Wagner (welche seit einem gescheiterten Aufstand als "Afrikakorps" in das russische Verteidigungsministerium eingegliedert ist). Über die porösen, nur nominell existierenden Wüstengrenzen gelangt das Material problemlos in die Hände der RSF im Westen des Sudans. Andersherum unterstützt Iran die SAF militärisch, Ägypten mindestens diplomatisch, und die Ukraine schien kurzzeitig mit Spezialeinheiten im Land gegen die dortigen Russen zu agieren.
Gut zu wissen: Denkbar ist, dass der Sturz der Assad-Regierung in Syrien im Dezember 2024 zur erfolgreichen Rückeroberung Khartums durch die SAF beitrug. Russland nutzte seine syrische Luftbasis Latakia, um Lieferungen an die RSF via Libyen durchzuführen, doch musste seine Operationen dort nach Assads Sturz einstellen. Dass das die Versorgung der RSF erschwert hat, ist ungesichert, doch denkbar.
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(7 Minuten Lesezeit)
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Reich der Fur
Wer auf eine beliebige Karte des sudanesischen Bürgerkriegs blickt (zum Beispiel die beiden weiter oben), erkennt eine klare Zweiteilung. Die SAF unter Burhan kontrolliert den Osten, die RSF unter Hemeti den Westen. Dieser Westen verdient sein eigenes Kapitel, denn es geht um die Region Darfur. Sie ist ein Hauptkriegsschauplatz, das Epizentrum humanitärer Verbrechen und ein Fingerzeig auf wichtige Trennlinien im Sudan, die für das Verständnis des Landes notwendig sind.
Darfur ist mehrheitlich ein riesiges, trockenes Savannen- und Wüstenplateau, fast 40 Prozent größer als Deutschland. Im Norden Darfurs sorgt die Saharawüste dafür, dass es kaum Besiedlung gibt; im Süden die heftigen Überschwemmungen ebenso. Der fruchtbarere Osten wird von sesshaften Bauern dominiert, der Westen von nomadischen Viehzüchtern. Im Zentrum befindet sich das gebirgige Marra-Plateau mit dem 3.042 Meter hohen Vulkan Jebel Marra, welches deutlich nasser und fruchtbarer als der Rest des trockenen Darfur ist.
Der Name Darfur bedeutet "Reich der Fur" und bezieht sich auf die sesshafte schwarzafrikanische Ethnie der Fur. Die Region erlebte im Verlaufe der Geschichte eine Reihe lokaler Königreiche, darunter das Sultanat von Darfur, bis sie 1875 an Ägypten und 1916 an das britische Kolonialreich fiel und administrativ erstmals an den Sudan angeknüpft wurde.
Gut zu wissen: Der Begriff "Schwarzafrikaner" ist im Deutschen umstritten, auch wenn er mitunter weiter in Medien und Wissenschaft Verwendung findet. Im Falle des Sudan wird es mit den Alternativen schwierig: "Afrikaner" wäre zu generisch; "Subsahara-Afrikaner" ist sperrig und träfe auf das Land nicht zu; und "Schwarz" bezieht sich allzu unpräzise auf die Hautfarbe. Im Englischen ist im Sudan-Kontext zwar meist von "African", doch auch von "black African" die Rede.

Die ethnische Dimension
Mit der sudanesischen Unabhängigkeit 1956 begann in Darfur eine Phase an ethnischen Spannungen. Eine bis dahin relativ unbekannte Trennung in arabische und schwarzafrikanische Identitäten wurde politisch und gesellschaftlich zentral. Beide Seiten warfen einander vor, an den wirtschaftlichen Schwierigkeiten Darfurs Schuld zu sein. Zudem brachen Land- und Wasserkonflikte aus zwischen den meist sesshaften, landwirtschaftlichen Schwarzafrikanern (darunter die Fur rund um das zentrale Marra-Gebirge, die Masalit im Westen und die Zaghawa im Norden) und den häufig teilnomadischen, viehzüchtenden arabischen Stämmen, welche als Baqqara zusammengefasst werden.
Gut zu wissen: Die Begriffe "arabisch" und "schwarzafrikanisch" beschreiben in Darfur weniger genetisch nachvollziehbare ethnische Kategorien als sozial konstruierte Identitäten, bezogen auf Kultur und Lebensstil. Rinderhirten in Darfur würden sich etwa unabhängig von ihrer eigentlichen ethnischen Herkunft grundsätzlich zu den Baqqara zählen. In diesem Sinne ist auch debattierbar, inwieweit die Konflikte in Darfur als tatsächlich ethnisch motiviert beschrieben werden können; doch für ein grundlegendes Verständnis ist diese Beschreibung in jedem Fall hinreichend.
Die Dynamik von ethnisch-kulturellem Streit in Darfur nahm ab den 1970ern und vor allem in den 1980ern kräftig zu. Die Bevölkerung verdreifachte sich von 1973 bis 1983 nahezu von 1,3 auf 3,5 Millionen, während die Wirtschaft nur schwach wuchs und zwei große Dürren sowie zunehmende Desertifikation die Verteilungskonflikte verschärften (einige Beobachter nannten den späteren Darfurkrieg den ersten Klimakonflikt der Geschichte). Mit dem Sezessionskrieg des Südsudans ab 1983 kam es außerdem zu einem Zufluss von Schwarzafrikanern aus dem Süden, was fragile Gleichgewichte in Darfur kippte und Ende der 1980er zu ersten größeren Massakern von Arabern an Schwarzafrikanern führte. Über 9.000 Menschen starben zwischen 1985 und 1988, mehrheitlich Fur.
Es war zu dieser Zeit, dass sich der Konflikt in Darfur militarisierte und ausweitete. 27 arabische Stämme formten spätestens 1988 gemeinsam die Janjaweed, was arabisch für "berittene Dämonen" stehen könnte, laut Darfuris jedoch auf ein Wort im tschadischen Dialekt für Verbrecher zurückgeht. Sie begingen Gräueltaten an Schwarzafrikanern in Darfur. Parallel warfen diese der (arabischen) Zentralregierung in Khartum vor, Araber zu bevorzugen, eine Art Apartheid in Darfur einzurichten und Milizen wie die Janjaweed zu tolerieren und final sogar zu bewaffnen.
Gut zu wissen: In die Dynamik spielte auch ein ab 1950 wachsender Panarabismus hinein, also die in der arabischen Welt an Fahrt gewinnende Idee einer universellen arabischen Identität, welche sich häufig exkludierend und chauvinistisch äußerte. Sie wurde in Darfur unter anderem angefacht durch Muammar al-Gaddafi, den Langzeitdiktator Libyens ab 1969, der arabische Milizen in Darfur wie die Tajammu al-Arabi (Arabische Allianz) unterstützte. Diese gingen später in den Janjaweed auf.

Der Darfurkrieg
Die Lage eskalierte 2002. Schwarzafrikanische Stämme hatten sich zu organisierten Rebellengruppen zusammengeschlossen und erstmals Schläge gegen Militär- und Polizeieinrichtungen durchgeführt. Der Beginn des Bürgerkriegs in Darfur wird auf Februar 2023 datiert, als eine Gruppe namens SLM (auch als SLA bekannt und damit gerne SLM/A geschrieben) eine gesamte Ortschaft unter ihre Kontrolle nahm. Enden sollte der Krieg erst 16,5 Jahre später, im August 2020.
Anfangs verlief der Bürgerkrieg zugunsten der darfurischen Rebellen. Die sudanesische Armee (SAF) war nicht motiviert, schlecht ausgebildet und darüber hinaus erschöpft und gestreckt: Der zwei Jahrzehnte andauernde, zweite Sezessionskrieg mit dem Südsudan ging gerade in seine Endphase, und im Osten kämpfte die SAF gegen von Eritrea gesponserte Rebellen. Die Darfur-Rebellen, in erster Linie die genannte SLM und die JEM, setzten dagegen effektiv ihre hohe Mobilität und ihre Ortskenntnis ein. Sie gewannen fast alle Kämpfe, eroberten Städte und rückten gen Osten vor. Ein Meilenstein war ein erfolgreicher Angriff auf al-Fasher, die Hauptstadt der administrativen Region Nord-Darfur.
Die sudanesische Zentralregierung reagierte auf die Blamagen mit einer intensiven Luftschlagkampagne und einem Strategiewechsel. Sie setzte nunmehr maßgeblich auf die Janjaweed-Milizen, also die militanten Araberstämme in Darfur, welche sie finanziell sowie materiell unterstützte und mit denen die Armee gemeinsame Offensiven tätigte. Da die Janjaweed bereits zu diesem Zeitpunkt mit Gräueltaten und ethnischer Säuberung assoziiert wurden, dementierte die Regierung jegliche Verbindungen, doch diese sind von lokalen und internationalen Beobachtern gut dokumentiert.

Die Janjaweed und der Genozid
Die Janjaweed, und mit ihnen die sudanesische Regierung, verübten in den kommenden Jahren Menschenrechtsverbrechen in spektakulärem Ausmaß. Sie gingen systematisch gegen die schwarzafrikanischen Fur, Masalit und Zaghawa vor, töteten allein bis 2008 schätzungsweise 300.000 Zivilisten und vertrieben weitere 2,7 Millionen; über die gesamte Kriegsdauer wird die Zahl der Toten auf bis zu 400.000 geschätzt. Die Liste der konkreten Gräueltaten ist lang, sie umfasst das Abbrennen von Dörfern, die gezielte Tötung von Säuglingen, den systematischen und öffentlichen Einsatz von Vergewaltigungen als Waffe gegen Männer, Frauen, Kinder und Alte sowie die sexuelle Verstümmelung von Opfern.
Die Vorgänge in Darfur wurden bereits früh als Genozid klassifiziert und werden noch heute so gewertet. Gegen den damaligen Präsidenten Bashir wurde 2008 beim Internationalen Strafgerichtshof (ICC) ein Verfahren wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen eröffnet, 2010 wurde es dann um Genozid ergänzt. Das war bemerkenswert, denn Baschir war der erste amtierende Präsident, gegen welchen ein Haftbefehl ausgestellt wurde, und die erste Einzelperson, welcher Genozid vorgeworfen wurde. Fast alle arabischen Länder protestierten scharf gegen den Haftbefehl und kritisierten den ICC; auch im Sudan selbst war die Stimmung mehrheitlich aufseiten Baschirs.
Das ist ein Hinweis darauf, dass die arabische Mehrheit im Sudan mal mit Wohlwollen, häufig aber einfach mit Desinteresse auf die Lage im weit entfernten Darfur blickte. Zum Vergleich: Sowohl nach Luftlinie als auch nach Fahrtstrecke liegt al-Fasher ungefähr so weit entfernt von Khartum wie Florenz von Berlin – und al-Fasher und Khartum sind für sudanesische Verhältnisse bereits vergleichsweise gut verbundene und nah gelegene Orte. Für Sudanesen in Port Sudan liegt Darfur so weit entfernt wie für einen Berliner Moskau.
Gut zu wissen: Die Kritik an den Haftbefehlen des ICC gegen Baschir mag zwar teilweise mit arabischem Chauvinismus und "Lagerbildung" zu erklären sein, hing aber auch mit dem in Entwicklungsländern damals verbreiteten Empfinden zusammen, dass die internationalen Gerichtshöfe unfair agierten. Vor allem afrikanische und arabische Mitgliedsländer kritisierten, dass sie ständig Ziel von Ermittlungen und Haftbefehlen seien, während westliche Staatslenker präferiert behandelt würden. Entsprechend kritisierte auch die Afrikanische Union (AU) die Haftbefehle. Mehr dazu in unserem Explainer "Wie funktioniert das Völkerrecht?"

Das Patt und das Ende
Die Regierung und die Janjaweed führten zwar eine systematische Kampagne gegen die nicht-arabischen Zivilisten in Darfur durch, doch militärisch machten sie nur bedingt Fortschritte. Gewisse anfängliche Gebietsgewinne der Rebellen ließen sich reversieren, doch zerschlagen ließen sie sich nicht. Stattdessen geriet der Darfurkrieg in ein Patt.
Parallel gab es aufgeregtes Engagement seitens des Auslands: Die UN versuchte, Frieden zu vermitteln, die USA wirkten auf den Sudan ein und zivilgesellschaftliche Gruppen sorgten für Aufmerksamkeit. Tatsächlich gab es ab 2006 erste ernsthafte Anläufe für Waffenruhen und ab 2007 eine (kaum effektive) UN-Mission im Land. Ab 2010 verlangsamte sich der Darfurkrieg deutlich, doch blieb ungelöst. Gegenseitige Gefechte und Angriffe der Janjaweed auf Zivilisten fanden weiterhin statt; Hunderte Menschen starben dabei regelmäßig. Und doch: Der Darfurkrieg hatte sich erschöpft.
Eine formelle Wende gelang erst nach 2019, mit dem Sturz der Baschir-Regierung. Die neu entstandene Übergangsregierung und eine Vielzahl an Milizen (jedoch nicht alle) einigten sich 2020 auf Friedensverträge. Der Darfurkrieg war somit im Kern beendet und der Sudan erlebte zum ersten Mal seit 1983 keinen aktiven Bürgerkrieg.
Die Lage heute_
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Die RSF in Darfur
Es sollte bekanntermaßen nicht lange dauern, bis der Krieg zurück nach Darfur kehrte, genauer keine drei Jahre. Es ist auch kein Zufall, dass die Machtbasis der Rapid Support Forces (RSF) in Darfur liegt. Die Miliz ging schon 2013 aus den Janjaweed hervor und besteht damit aus eben jenen arabischen Baqqara-Milizionären, welche aus Darfur und dem benachbarten Tschad stammen und den Darfurkrieg einst zum Genozid machten (ihr Anführer Hemeti selbst ist arabischer Darfuri, vermutlich einst aus dem Tschad). Besser ausgerüstet und organisiert denn je setzte sich die RSF in Darfur schnell fest und übernahm die Kontrolle über einen Großteil des Gebiets von der Armee.
Gut zu wissen: Genauer gesagt waren die RSF im Grunde nur die Janjaweed mit neuem Anstrich. Durch die Umwandlung, bereits im Jahr 2013 geschehen, wollte der damalige Präsident Baschir internationalen Druck abbauen. Zudem war inzwischen auch in der eigenen Bevölkerung der Hass auf die Gruppe gewachsen, denn ihre Gräueltaten erstreckten sich nunmehr auch auf Araber, zum Beispiel Anti-Regierung-Protestler. Die Marke "RSF" erlaubte es der Baschir-Regierung, die Milizen völlig offiziell einzusetzen, ohne ihre vorherigen Dementis über eine Verbindung zu den Janjaweed nominell bloßzustellen – auch wenn die Kontinuität von Janjaweed zu RSF im Inland und Ausland völlig offensichtlich war.
Dabei kontrollierte die RSF nicht das gesamte Darfur und tut es teilweise bis heute nicht. Zum einen sind da die schwer zugänglichen, wenig wertvollen Wüstengebiete im Norden. Zum anderen das zentral gelegene Marra-Gebirge, welches ein Nachfolger der schwarzafrikanischen SLM-Miliz wie eine Enklave inmitten von RSF-Gebiet verteidigt. Und zu guter Letzt die Großstadt al-Fasher, nicht unweit des Marra-Gebirges gelegen. Sie wurde selbst dann noch von der Armee gehalten, nachdem sie im Sommer 2024 komplett von der RSF umringt wurde. Al-Fasher geriet damit zur belagerten Enklave – und zu einem Zufluchtsort für Hunderttausende Zivilisten, welche vor den RSF aus dem Rest Darfurs dorthin geflohen waren. Zeitweise wuchs die Bevölkerung in der Stadt von knapp 250.000 auf über eine Million an.
Die Fortsetzung des Genozids
Entsprechend sorgte es für Aufsehen, als die RSF im Herbst 2025 al-Fasher endlich eroberten. Denn eine humanitäre Katastrophe schien unvermeidbar. Die RSF haben in gewohnter Janjaweed-Tradition schon lange im Bürgerkrieg eine Reputation für Brutalität erlangt. Ihr werden Morde an Zivilisten, Folter und Sexualverbrechen vorgeworfen, wohlgemerkt im gesamten Land, nicht nur in Darfur. Die dortigen Verbrechen scheinen jedoch besonders systematisch und weitreichend zu sein, was zur rassistischen Ideologie der RSF passen würde.
So verübten sie ab 2023 mehrere Massaker an der schwarzafrikanischen Masalit-Ethnie, bei welchen 17.000 bis 145.000 Menschen getötet wurden – die Spanne ist ein Hinweis darauf, wie schwierig es ist, überhaupt verlässliche Informationen aus den RSF-Gebieten zu erhalten. Und nach der Eroberung von al-Fasher gibt es bereits wenige Tage später Berichte über mindestens 2.000 hingerichtete Zivilisten, doch Analysten vermuten eine Zahl in den Zehntausenden. Blutspuren und Leichen sind so zahlreich, dass sie sich selbst auf Satellitenbildern erkennen lassen. Die Tausenden Menschen, welche aus der Stadt nach ihrem Fall flohen, wurden teilweise unterwegs ermordet, teils entführt, um Lösegelder ihrer Angehörigen zu erpressen (so auch bereits bei Fluchtversuchen in den Vormonaten, als al-Fasher noch belagert wurde). Männer werden dabei meistens umgebracht, Frauen vergewaltigt.
Dass selbst die RSF-Führung um General Hemeti "Vergehen" ihrer Soldaten einräumte, welche sie prüfen werde, ist kein gutes Zeichen, denn es deutet auf ein besonders hohes, nicht mehr vertuschbares Ausmaß der Gewalt hin. Nathaniel Raymond vom Humanitarian Research Lab der Yale University spricht von einer "Aktivität, die eine Massentötung andeutet, welche nur mit dem Ruanda-Genozid verglichen werden kann". Darin töteten Angreifer binnen 3,5 Monaten rund 800.000 Menschen. Das Vorgehen in Darfur sei die "finale Schlacht" des Darfur-Genozids, fasst er zusammen.
Gut zu wissen: Auch die Armee, die SAF, verübt Kriegsverbrechen. Unter anderem bombardierte sie zivile Zentren in Darfur, welche vorher von den RSF erobert worden waren. Das Ausmaß der vorgeworfenen Verbrechen ist jedoch geringer als bei den RSF und die Gewaltanwendung gegen Zivilisten weniger systematisch.
Der Zerfall
Der Fall von al-Fasher kündigt nicht nur humanitäre Sorgen an, sondern macht auch eine Spaltung des Sudans wahrscheinlicher. Die RSF haben nun den Westen des Landes rund um Darfur konsolidiert, die Armee kontrolliert seit Jahresbeginn wiederum die Hauptstadtregion und die wichtige Provinz Jezira. Keine der beiden Seiten machte zuletzt den Anschein, imstande zu sein, den Krieg in neue Gebiete tragen zu können. Es könnte somit verlockend sein, den Krieg hier einzufrieren – und von seiten der Armee faktisch anzuerkennen, dass der Westen des Landes vorerst in der Hand der RSF bleibt.
Dafür spricht auch, dass wie schon im Darfurkrieg 2003-2020 das Interesse an der westlichen Region im Rest des Landes einfach nicht sonderlich hoch ist, auch wenn der Hass auf die RSF aktuell tief sitzt. Für viele Sudanesen könnte es unsinnig wirken, eine teure und riskante Offensive in ein Gebiet durchzuführen, zu dem sie wenig Verbindung empfinden und das – um unser Beispiel von vorhin zu wiederholen – so weit entfernt ist wie Moskau von Berlin.
Eine Spaltung des Sudans würde das Land gewissermaßen "libyenisieren". Auch das Nachbarland zerfiel nämlich nach einem Bürgerkrieg in zwei Landeshälften, davon eine von einem russisch unterstützten Warlord kontrolliert, auch wenn es nominell als ein Land fortexistiert. Dass das ein Szenario für den Sudan sein könnte, prognostizierte die whathappened-Redaktion bereits im Frühjahr 2024.
Es wäre zudem eine Erinnerung an die eigene Vergangenheit. Denn 2011 spaltete sich der (mehrheitlich schwarzafrikanische) Südsudan ab, nachdem sich der Süden und die Zentralregierung in Khartum in zwei jahrzehntelangen Bürgerkriegen erschöpft hatten. Der Sudan könnte also binnen 15 Jahren de-facto in drei Staaten zerfallen sein. Und Darfur in fast der ähnlichen Zeit zwei Genozide erlebt haben.
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