December 7, 2025
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Die neue Monroe-Doktrin der USA

Die USA behaupten sich wieder als Hegemon in Lateinamerika. Was das für die Region bedeutet.
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  • Die USA agieren wieder deutlich offensiver und aktiver in Lateinamerika: Sie bauen ihre sicherheitspolitische Position aus und nehmen innenpolitischen Einfluss.
  • Das zeigt sich besonders deutlich an Venezuela, wo die USA derzeit militärische Drohgebärden fahren.
  • Doch auch Panama, Honduras, Mexiko, Brasilien, Kolumbien und weitere Staaten sind Ziele von Einflussnahmen.
  • Das erinnert an die Monroe-Doktrin, mit welcher die USA ab 1823 den amerikanischen Doppelkontinent zu ihrer Einflusssphäre ernannten.
  • Das blieb anfangs symbolisch, bevor die USA ab Ende des 19. Jahrhunderts tatsächlich immer selbstbewusster und hegemonischer auftraten.
  • Dafür setzten sie Invasionen, Putsche und unterschwelligere Einflussoperationen ein.
  • Mit dem Ende des Kalten Krieges nahmen die Aktivitäten ab: Der ideologische Grund fehlte, Großmachtpolitik spielte keine Rolle mehr und Lateinamerika verlor z.B. gegenüber dem Nahen Osten an Priorität.
  • Die Trump-Regierung scheint die Monroe-Doktrin nun zurückzubringen – womöglich, weil sich die geopolitischen Umstände geändert haben.

Die Monroe-Doktrin_

(9 Minuten Lesezeit)

Die USA müssen ihren Einfluss auf die westliche Hemisphäre, also den amerikanischen Doppelkontinent, ausbauen und ihr Verhältnis zu Europa neujustieren. Sie können nicht die gesamte Welt beschützen, sondern müssen sich auf sich selbst und amerikanische Interessen besinnen. Das ist nicht nur, was ein neues Strategiedokument der Trump-Regierung im Dezember 2025 als außenpolitische Vision formuliert, es ist auch die Monroe-Doktrin aus dem Jahr 1823.

Die whathappened-Redaktion schrieb diesen Explainer nicht als Reaktion auf das Trumpsche Strategiepapier, sondern auf die amerikanischen Operationen vor Venezuela. Doch das Papier passt gut dazu. So gut, dass das Weiße Haus selbst es als "Trump Collorary" zur Monroe-Doktrin bezeichnet, also als Trump-Zusatz. Und das passt wiederum gut, denn in außenpolitischen Kreisen wird die Trumpsche Außenpolitik in den Amerikas gelegentlich als "Donroe-Doktrin" bezeichnet, ein Portmanteau aus Monroe und Donald.

Der Isolationismus

Als der fünfte Präsident der USA, James Monroe, 1817 ins Amt kam, waren die USA eine junge Nation. Sie existierten erst seit 41 Jahren; die Unabhängigkeit lag damit ungefähr so lange zurück, wie die Wiedervereinigung in Deutschland es heute tut. Der neue Staat ergründete noch immer, wie er funktionieren sollte und welche gesellschaftlichen Trennlinien sich herauskristallisieren würden. Und auch, welche Außenpolitik er betreiben sollte.

Monroe folgte dabei der Stoßrichtung, welche der erste Präsident George Washington (welchen die amerikanische populäre Historiographie bis heute regelrecht mythologisiert) empfohlen hatte. Washington warnte in seiner "Farewell Address“, seinem Abschiedsbrief von 1796, vor dauerhaften Allianzen und Einmischung in europäische Angelegenheiten. Die USA sollten sich auf den Aufbau zuhause konzentrieren, statt sich in fremde Konflikte zu manövrieren.

Monroes Doktrin von 1823 definierte die westliche Hemisphäre, also Nord- und Südamerika, als Einflusszone der USA. Europäische Einmischung in dieser Zone werde als Gefährdung der amerikanischen Sicherheit interpretiert. Die USA erkennen zwar existierende europäische Kolonien an und versprechen, sich nicht in innere europäische Angelegenheiten einzumischen, doch würden sie keine neuen Kolonien tolerieren. Es war eine antikoloniale, isolationistische außenpolitische Vision.

Gut zu wissen: Monroe unterstützte auch die Bildung von afrikanischen Kolonien durch befreite schwarze Sklaven. Aus dieser Initiative heraus entstand der heutige westafrikanische Staat Liberia, dessen Hauptstadt Monrovia nach Monroe benannt ist.

Uncle Sam beschützt die Lateinamerikaner (genauer: Nicaragua, Venezuela) vor den Europäern. Karikatur aus 1896. Quelle: Victor Gillam, wikimedia
Solidarität unter Kleinen

Die Doktrin mag aus heutiger Sicht aus guten Gründen wie offensives Großmachtdenken wirken, doch das ist nicht ganz richtig. Damals war es eher ein Stück symbolischer Solidarität eines jungen, dekolonialisierten Entwicklungslands mit regionalen Nachbarn, die soeben dasselbe erreicht hatten: Die Staaten Lateinamerikas hatten ab 1810, mehrheitlich erst ab 1820 die Unabhängigkeit erlangt. Doch die USA waren wirtschaftlich und militärisch überhaupt nicht imstande, eine Einflusszone zu behaupten, schon gar nicht ohne eine Marine. Vergleichen ließ sich die damalige Monroe-Doktrin heute mit einem Gipfel der ASEAN-Staaten, auf welchem sie sich äußere Einmischung in ihrer Region verbitten. Eine Meldung bei Reuters wert, aber nicht genug, um den neuesten Politikerklatsch aus deutschen Nachrichtensendungen zu verdrängen.

Entsprechend wurde die Monroe-Doktrin in den europäischen Kolonialreichen kaum wahrgenommen. Eine Ausnahme mag Russland gewesen sein: Es hatte 1821 einen Anspruch auf Nordwestamerika proklamiert und damit überhaupt erst den Auslöser für die Doktrin geboten. Und Großbritannien war ironischerweise der Akteur, der am stärksten zur Doktrin beitrug: Die einstige Kolonialmacht hatte inzwischen ein pragmatisches Verhältnis zu den USA und priorisierte den Handel mit der Region, der besser mit unabhängigen Ländern als mit spanisch-französischen Kolonialprovinzen funktionierte. London bot den USA sogar an, eine gemeinsame Erklärung zur Monroe-Doktrin zu verabschieden, doch Washington lehnte ab.

In Lateinamerika wurde die Verkündung der USA nominell positiv aufgenommen und selbst der Unabhängigkeitsheld Simón Bolívar (Namensgeber für Bolivien und die "Bolivarische Republik" Venezuela) bedankte sich bei Monroe. Gleichzeitig war allen bewusst, dass es sich um Symbolik handelte und die USA ohne Großbritannien keine nennenswerte Unterstützung bieten könnten. Von einigen Seiten wurde außerdem früh Skepsis angemeldet: Der chilenische Minister Diego Portales erklärte: "Wir müssen sehr vorsichtig sein. Für die Amerikaner im Norden sind die einzigen Amerikaner sie selbst."

Die Machtlosigkeit der USA wurde früh und regelmäßig unter Beweis gestellt. Spanien versuchte umgehend, sein zerfallendes Kolonialreich in Lateinamerika militärisch wiederherzustellen. Großbritannien und Frankreich gingen zwischen 1833 und 1850 mehrfach gegen Argentinien vor. Frankreich eroberte 1862 Mexiko und setzte eine Vasallenregierung ein, direkt vor der "Haustür" der USA, welche sich gerade mitten in einem Bürgerkrieg befanden.

Die USA etablieren sich

Es sollte 70 Jahre dauern, bis die USA die Monroe-Doktrin aktiver auslegten. Mit der amerikanischen Wirtschafts- und Militärmacht wuchs auch ihre außenpolitische Ambition, und bis Ende des 19. Jahrhunderts geriet die Monroe-Doktrin zur tatsächlichen Doktrin – einer, welche aktiv und offensiv verfolgt wurde. Sie sollte nahtlos in amerikanischen Expansionismus und Imperialismus übergehen.

Der erste Vorfall war die Venezuelakrise 1895, in welcher Venezuela und Großbritannien um die Region Essequibo stritten. Die USA intervenierten und zwangen London erfolgreich, internationale Vermittlung zu akzeptieren – welche zugunsten der Briten ausfiel und das Gebiet Britisch-Guayana (heute: Guyana) zusprach.

Danach ging es Schlag auf Schlag. Hier eine Liste der wichtigsten amerikanischen Interventionen bis zum Zweiten Weltkrieg:

Achtung: Du kannst diese Liste überspringen oder überfliegen, wenn dich die konkreten Fälle nicht interessieren. Der Explainer bleibt auch dann lesbar und verständlich.

  • Die USA intervenierten 1898 aufseiten Kubas im Unabhängigkeitskrieg gegen Spanien, was in den Spanisch-Amerikanischen Krieg und die Übernahme von Puerto Rico, Guam und den Philippinen führte. Kuba wurde zwar formell unabhängig, doch die USA kontrollierten die Insel de-facto bis 1909 und übten auch danach viel Einfluss aus.
  • Sie führten 1903 die Unabhängigkeit Panamas von Kolumbien herbei und kontrollierten bis 1979 Territorium rund um den Panamakanal (gemeinsam mit Panama gar bis 1999).
  • 1912 besetzten die USA Nicaragua, um die Interessen amerikanischer Unternehmen zu schützen. Das Land blieb bis 1933 faktisch unter amerikanischer Kontrolle. Sie führten auch mehrere Militärinterventionen im benachbarten Honduras durch.
  • Die USA besetzten 1915 für 18 Jahre Haiti, um eine freundliche Regierung einzusetzen und wachsenden deutschen Einfluss zurückzudrängen. Dabei führten sie in einem der wenigen Länder, in welchem eine Sklavenrevolution einst zur Unabhängigkeit geführt hatte, wieder ein System von Zwangsarbeit ein.
  • In der Dominikanischen Republik intervenierten die USA 1914 in einer Revolution, nur um das Land dann von 1916 bis 1924 zu besetzen.
  • Von 1910 bis 1919 intervenierten die USA in Mexiko, und 1914 besetzten sie die Hafenstadt Veracruz für sechs Monate.
Gut zu wissen: Nicht so recht in die obige Liste passt der Mexikanisch-Amerikanische Krieg von 1846, welcher dennoch Erwähnung verdient. Die USA hatten kurz zuvor Texas annektiert und trieben nun ihre kontinentale Dominanz voran. Sie ließen sich nach dem gewonnenen Krieg einen großen Teil der heutigen westlichen USA übertragen, mitsamt des Bundesstaats Kalifornien. Das war jedoch weniger regionaler Interventionismus als einfach purer Expansionismus.

Uncle Sam blickt grimmig über seine Einflusszone von Alaska bis Feuerland, mit einem Knüppel mit dem Titel "Monroe Doctrine" in seiner Hand. Unten: "Expansion! Die lange Streckung der westlichen Patrouillie." Undatierte Karikatur aus den Jahren 1900 bis 1905. Quelle: Louis Dalrymple, wikimedia

Überall, jederzeit

Die USA waren damit eine unausweichliche Kraft in den Amerikas, welche ihre wirtschaftliche und militärische Macht offensiv ausspielte – insbesondere in Zentralamerika und in der Karibik, in Südamerika bislang etwas seltener. Längst ging es nicht mehr nur darum, europäische Kolonialmächte herauszuhalten. Die USA intervenierten in den Ländern der Region, wann es ihnen passte.

Das war inzwischen offizielle Policy: Präsident Theodore Roosevelt hatte die Monroe-Doktrin 1904 um den "Roosevelt Corollary" ergänzt, also den Roosevelt-Zusatz. Wann immer lateinamerikanische Staaten sich "danebenbenahmen", auf eine Weise, welche "die Bande der zivilisierten Gesellschaften lockerte", durften die USA intervenieren. Das stellte eine derart große Veränderung zum defensiveren Status quo ante dar, dass es sich auch als völliger Ersatz lesen ließe.

Die USA erobern ihre Hemisphäre

Nach dem Zweiten Weltkrieg intensivierte sich das nur. Erstens waren die USA nun unangefochtener Hegemon in der westlichen Hemisphäre; die europäischen Kolonialimperien existieren praktisch nicht mehr. Zweitens schuf der Konflikt mit der Sowjetunion wahre und vermeintliche Gefahrenmomente, auf welche die USA interventionistisch reagierten – mal mit subversiven, mal mit militärischen Methoden. Hier erneut eine Liste, nun bis zur Jahrtausendwende:

Achtung: Du kannst diese Liste erneut überspringen oder überfliegen, wenn dich die konkreten Fälle nicht interessieren. Der Explainer bleibt auch dann lesbar und verständlich.

  • 1954 lancierte die CIA in der Operation PBSuccess einen Putsch in Guatemala, welcher eine linke postrevolutionäre Regierung mit einer rechten Militärjunta ersetzte. Die USA isolierten Guatemala diplomatisch, rüsteten die Putschisten aus und trainierten sie. Später drohten sie mit einer Militärinvasion, sollte sich die guatemalische Armee gegen den Putsch stellen. Als Reaktion auf internationale Kritik suchte die CIA in Operation PBHistory nach Beweisen für sowjetischen Einfluss auf die gestürzte Regierung, doch fand keine.
  • 1961 lancierten die USA die Invasion in der Schweinebucht, um die junge sozialistische Castro-Regierung auf Kuba zu stürzen. Die CIA hatte eine Brigade von Exilkubanern trainiert und transportiert, doch die Invasion scheiterte, weil Präsident John F. Kennedy wohl aufgrund internationalen Drucks die Luftunterstützung einstellte. Parallel wurden in Operation Mongoose Terrorattacken und Anschläge in Kuba geplant, in erster Linie gegen die Castro-Regierung gerichtet.
  • 1964 unterstützten die USA einen Militärputsch in Brasilien, welcher in die 20-jährige Militärdiktatur führte. Wie auch in Guatemala lehnten die USA auch hier die sozialdemokratische bis linkspopulistische Politik der Regierung ab; sie befürchteten einen wachsenden Einfluss kommunistischer Ideen und der Sowjetunion.
  • Ebenfalls 1964 mischten sich die USA in den Wahlkampf in British-Guayana, alsbald Guyana, ein, um einen ihrer Meinung nach kommunistischen Kandidaten zu verhindern. Die CIA lancierte dafür erfolgreich Proteste und Generalstreiks.
  • Von 1965 bis 1966 besetzten die USA die Dominikanische Republik, da sie Sorge hatten, dass sich ein Linksbündnis im dortigen Bürgerkrieg durchsetzen würde. Sie halfen, eine zuvor abgesetzte Militärjunta wieder an die Macht zu bringen.
  • 1971 unterstützten die USA einen erfolgreichen Militärputsch in Bolivien gegen eine sozialistische Regierung.
  • Wie sehr die USA in den Militärputsch in Chile 1973 involviert waren, wird debattiert. Washington wusste auf jeden Fall von den Plänen der Putschisten und unternahm nichts dagegen, da es den demokratisch gewählten Präsidenten Salvador Allende als Kommunisten bewertete. Einige Historiker erkennen ausdrückliche Unterstützung seitens der USA und somit eine Verantwortung für den Putsch; andere widersprechen. Aus dem Putsch ging die 17-jährige Pinochet-Diktatur hervor.
  • In den 1990ern unterstützten die USA die rechtsgerichteten Contra-Rebellen in Nicaragua in ihrem Kampf gegen die marxistische Regierung.
  • 1983 führten die USA und eine Koalition karibischer Staaten eine Invasion Grenadas durch, weil sie befürchteten, dass die marxistisch-leninistische Regierung dort einen kubanischen und sowjetischen Truppenaufbau erlauben würde.
  • 1989 starteten die USA eine Invasion Panamas, in welcher sie de-facto-Herrscher Manuel Noriega vertrieben. Ungewöhnlicherweise ging es nicht um Kommunismusverdacht (zu diesem Zeitpunkt neigte sich der Kalte Krieg bereits seinem Ende zu), sondern um Vorwürfe des Drogenschmuggels. Zudem versuchte Noriega, eine Wahlniederlage zu kippen.
  • 1994 erfolgte eine zweite Invasion Haitis, in welcher die USA eine Militärjunta absetzten. Die Intervention war von einem Mandat des UN-Sicherheitsrats gedeckt und das US-Militär übergab ein halbes Jahr nach Invasionsbeginn die Kontrolle an eine UN-Mission.

Nach dem Kalten Krieg

Die Monroe-Doktrin und ihr Roosevelt Corollary waren in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts also zutiefst lebendig. Die USA intervenierten häufig und intensiv. Sie führten Invasionen durch, finanzierten Milizen, unterstützten Putschisten oder lancierten gesellschaftliche Unruhen. Unsere Liste sind wohlgemerkt nur die "harten" Operationen; drumherum machten die USA ihren hegemonistischen Einfluss kontinuierlich durch psychologische, diplomatische und wirtschaftliche Aktionen geltend.

Fast immer ging es darum, entweder den Einfluss der Sowjetunion – praktisch der neuen europäischen Kolonialmacht – abzuwehren oder ungenenehme (häufig sozialistische) innenpolitische Entwicklungen in den Ländern Lateinamerikas zu stoppen. Kaum endete der Kalte Krieg, veränderte sich auch die amerikanische Lateinamerika-Politik. Die letzten zwei Invasionen in Panama und Haiti waren eher Beispiele eines liberalen Interventionismus, in welchem die USA durch militärische Aktionen versuchten, demokratische und liberale Strukturen zu stärken. Und seit 1994 gab es überhaupt keine Invasion, keinen lancierten Putsch mehr durch die USA (letzteres wird gelegentlich behauptet, doch ist stets spekulativ und oft falsch). Wirtschaftssanktionen kamen zwar vor, doch mit wenigen Ausnahmen waren sie nie besonders großflächig, trafen meist nur Individuen. Die USA waren regelrecht zurückhaltend.

An Zielen für Interventionen hätte es dabei nicht gemangelt. Die Regierung in Kuba ist seit jeher feindselig; jene in Venezuela ist es seit den 2000ern. In praktisch jedem Land Lateinamerikas ließ sich in den letzten 25 Jahren zumindest zeitweise eine Regierung finden, welche ideologisch weit entfernt von den USA war, teils ihnen auch feindselig gesinnt.

Doch die Welt war inzwischen unipolar; die USA waren die einzige Supermacht. Selbst wenn Venezuela oder Bolivien sozialistisch wurden, gab es keine rivalisierende Großmacht, welche das militärisch und diplomatisch für sich (und gegen die USA) verwerten könnte. Und der liberale Interventionismus war seit spätestens 2007 öffentlich aufgrund der teuren Kriege in Afghanistan und Irak verbrannt; band zudem zu viele Ressourcen, um noch ernsthaft Militärmanöver in Lateinamerika zu erwägen.

Zu guter Letzt schienen militärische Interventionen geradezu aus der Zeit gefallen. Bereits der Balkankrieg hatte wie eine Anomalie gewirkt. Afghanistan und Irak waren weit weg, schienen wie ewige Krisengebiete und wurden in der amerikanischen Kriegslegitimation als Bedrohungen präsentiert. Doch ein initiativer Angriff auf ein Land wegen rein ideologischer Unterschiede? Das wirkte in den 2000ern und 2010ern abstrus.

Die Trump-Strategie_

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Eine AC-130J Ghostrider der US Air Force auf Puerto Rico. Quelle: Senior Airman Gabriel Jones, dvidshub
Zurück zu Monroe

Lange schien es also aus der Zeit gefallen, noch über eine Monroe-Doktrin zu sprechen. Niemand forderte die USA in der Hemisphäre aktiv heraus; und die USA machten keine Anstalten, zu den Tagen der Militärinvasionen und CIA-Geheimdienstoperationen zurückzukehren – oder auch nur gesondert intensiv Einfluss auf die Länder in ihrer Hemisphäre zu nehmen. Bis zur zweiten Amtszeit von Donald Trump.

Der 51. US-Präsident brachte von Tag 1 an eine ausgesprochen aktive Außenpolitik zurück. Er drohte mit der Annexion Grönlands und Panamas und machte damit allerwenigstens – selbst wenn man ihm Übertreibung zuspricht – neues Anspruchsdenken und schärfere Rhetorik geltend. Später verstärkte er die geheimdienstliche Arbeit gegen Grönland und verlangte von Panama besondere Vorteile bei der Durchquerung des Kanals. Er droht mit einer Militärintervention in Mexiko gegen dortige Drogenkartelle. Den Golf von Mexiko hat er zum Golf von Amerika umbenennen lassen.

Trump nimmt unverhohlen innenpolitischen Einfluss auf Länder wie Argentinien, Brasilien, Kolumbien und Honduras, zugunsten der dortigen rechten Kräfte. "Einfluss" bedeutet in diesem Fall nicht CIA-Operationen, sondern diplomatischer, psychologischer und wirtschaftlicher Druck. In Argentinien drohte er etwa, finanzielle Unterstützung einzustellen, sollte Präsident Javier Milei bei Wahlen nicht gut abschneiden. Dazu kommen Sanktionen: Brasilien wurde mit den höchsten Zöllen überhaupt bestraft, weil Trump sich am Gerichtsverfahren gegen den Ex-Präsidenten Bolsonaro störte; der zuständige Richter wurde ebenfalls mit Sanktionen belegt. Auch Kolumbiens Präsident Gustavo Petro und weitere Teile der kolumbianischen Regierung wurden sanktioniert. Nominell, weil sie in den Drogenhandel verwickelt seien; wahrscheinlicher geht es um ideologische Unterschiede zu der Linksregierung.

Venezuela unter Druck

Unter besonderer Beobachtung steht Venezuela, und nirgendwo sonst ähnelt die "Donroe-Doktrin" so sehr der Monroe-Doktrin der Vorjahrzehnte. Der Präsident hat seit dem Sommer eine ernsthafte Militärpräsenz in die Karibik verlagert, lässt alte Militärbasen wieder herrichten, B-52-Bomber über der Küste Venezuelas entlangfliegen, erklärte den Luftraum für gesperrt und genehmigt der CIA öffentlichkeitwirksam, Operationen im Land zu tätigen.

Über 10.000 Soldaten sind in der Karibik zusammengezogen, so viele wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Der größte Flugzeugträger der US-Marine ist in Angriffsreichweite Venezuelas. Auch viel Hilfspersonal ist vor Ort, etwa Wartungskräfte und Sicherheitsleute. Wenn es sich um eine Machtdemonstration handelt, so um eine sehr ernsthafte, denn die Truppenansammlung ist realistisch hinreichend für einen tatsächlichen Angriff.

Offiziell ist es das Ziel, Drogenschmuggler in der Karibik zu bekämpfen. Das erscheint bemerkenswert unproportional; das deutsche Sprichwort des "mit Kanonen auf Spatzen schießen" mag angebracht sein. Für die Bekämpfung kleiner Schmuggelboote benötigt es weder Flugzeugträger noch B-52-Bomber. Die Karibik ist zudem als Drogenschmuggelroute weniger relevant als der Pazifik. Und für die wichtigste Drogenkrise in den USA rund um Opioide wie Fentanyl müsste der Blick eher auf Mexiko und China gehen. Dennoch: Die USA versenkten seit Beginn ihrer Operation Anfang September Dutzende Boote und töteten mindestens 48 Menschen. Seit Ende Oktober laufen auch im Pazifik solche Aktionen, dort starben seitdem weitere 38 Menschen.

Gut zu wissen: Ein möglicherweise illegaler Zweitschlag, bei welchem die USA Überlebende eines ersten Angriffs töteten, sorgte vor Kurzem für Aufsehen und für eine Anhörung im Kongress. Für Verstimmung unter einigen Kongressabgeordneten sorgt auch, dass der Präsident für seine Militäroperation nie eine Zustimmung eingeholt hat – doch von republikanischer Seite wird diese Machtabgabe an die Exekutive inzwischen weitestgehend akzeptiert.

Noch einmal Regime Change

Die Aktionen gegen die mutmaßlichen Drogenschmuggelboote dürften höchstens von sekundärer Bedeutung sein. In erster Linie geht es den USA um Druck auf Venezuela. Daraus macht auch das Weiße Haus kaum einen Hehl. Tatsächlich ist die Maduro-Regierung in Caracas in der US-Politik seit elf Jahren so unbeliebt wie kaum jemand anders: Weder die sozialistische Politik, noch die verheerende Misswirtschaft oder der gewachsene Autoritarismus waren in Washington populär. Zu gesonderten Aktionen waren die USA allerdings nicht bereit – auch in Trumps erster Amtszeit nicht, in welcher es immerhin erstmals zu heftigen Sanktionen gekommen war.

Nun also die Kurswende. Die USA üben Druck auf Präsident Nicolás Maduro aus, womöglich, um ihn zum Abtritt zu bewegen. Dazu passen auch Medienberichte, dass Trump und Maduro Ende November ein Telefonat führten, bei welchem Trump ein Ultimatum zum sofortigen Rücktritt gestellt habe, mitsamt eines Versprechens auf sicheres Geleit aus dem Land heraus. Maduro lehnte ab und stellte Gegenforderungen, darunter eine "globale Amnestie" und dass er die Kontrolle über die Streitkräfte behalte. Trump bestätigte später, dass es ein Telefonat gegeben habe. Dieses sei "weder gut, noch schlecht" gelaufen.

Gut zu wissen: Geht es konkret um die Lage in Venezuela, stellen sich für Beobachter zwei Fragen: Erstens, geht es Trump tatsächlich um einen Rücktritt Maduros, oder nutzt er die Drohkulisse dessen lediglich dafür, um z.B. kommerzielle Vorteile für die USA herauszuhandeln? Zweitens, ist Trump tatsächlich zu einer Militärinvasion bereit, oder nutzt er die Drohkulisse dessen lediglich, um die Maduro-Regierung zu kippen bzw. zu destabilisieren?
Wenn du Venezuela generell besser verstehen möchtest, empfehlen wir unsere zwei Explainer: In Venezuelas Fiasko (und das kleine Comeback) erklärten wir vor drei Jahren, wie sich das Land in seine desaströse Wirtschaftslage manövriert hat – maßgeblich durch das Versagen der Chavez- und Maduro-Regierungen. In Was Venezuelas Wahl bedeutet zeigten wir 2024, wie unbeliebt die Maduro-Regierung ist, und wie effektiv und autoritär sie sich dennoch an der Macht hält. Sollte die Lage in Venezuela eskalieren, werden wir die strategische Situation in einem separaten Explainer analysieren.

Das Fahndungsposter der Anti-Drogen-Ermittlungsbehörde DEA gegen Nicolás Maduro, mit einer ausgeschriebenen Belohnung von 50 Millionen USD. Quelle: Drug Enforcement Administration

Der Hemisphären-Hegemon

Die Kurswende gegenüber Venezuela ist ein Puzzlestück einer größeren Kurswende in der US-Politik in den Amerikas. Die USA behaupten erneut ihren hemisphärischen Hegemoniestatus. Auf die ideologische Phase des Kalten Krieges war die idealistische des liberalen Interventionismus gefolgt, darauf eine Art Pause, in welcher die USA keine dedizierte Strategie in Lateinamerika zu verfolgen schienen und ihre effektive Kontrolle lockerten. Trump stößt nun eine neue Phase an, welche wenig mit Ideologie oder Idealismus zu tun haben scheint.

Was ist also die Motivation?

Das ist bislang schwer zu sagen, doch es gibt Indizien. Zum einen könnte es recht pragmatisch darum gehen, sich Zugang zu Rohstoffen, Märkten und strategisch wichtigen Knotenpunkten zu sichern. Zum anderen sieht sich die Trump-Regierung womöglich in einer Großmachtrivalität mit China, welches seine wirtschaftlichen und politischen Verbindungen nach Lateinamerika in den letzten drei Jahrzehnten bedeutsam ausgebaut hat. Peking ist für viele Länder dort heute der wichtigste Handelspartner und ein nennenswerter Kreditgeber. Dazu passt, dass einer der Hauptkritikpunkte Washingtons im Streit mit Panama war, dass China dort zu viel Einfluss ausübe.

Die "Donroe-Doktrin" würde damit reichlich an die Monroe-Doktrin erinnern, welche vor zweihundert Jahren schließlich auch in Großmächten und Einflusszonen dachte – mit dem Unterschied, dass die USA noch keine Großmacht darstellten. Und auch das "Trump Collorary" findet im Roosevelt Collorary eine schöne historische Parallele: Roosevelt erlaubte sich damals, sich auch dann einzumischen, wenn es noch gar keine fremde Großmacht abzuwehren gab – so wie auch die Trump-Regierung ihre Lateinamerikapolitik offenkundig nicht als rein defensiv versteht.

Es gibt nur ein Amerika

Für Lateinamerika bedeutet die Rückkehr der Monroe-Doktrin, dass wieder kein Weg an den USA vorbeiführt. Wer mit der Trump-Regierung kooperiert und zu ihr ein gutes Verhältnis aufbaut, profitiert: Dank Nayib Bukeles exzellenter Beziehung zu Trump formulieren die USA keine Reisewarnung mehr für El Salvador und erkennen in dem Land plötzlich weniger Menschenrechtsverstöße als in der EU. Javier Mileis Argentinien durfte sich über direkte Finanzhilfen freuen. Ecuador und Guatemala konnten günstige Handelsdeals erzielen. Wenn in Bolivien und Chile bald rechte Präsidenten ins Amt einkehren, dürften ihre Länder ebenfalls Vorteile erwarten.

Wer andersherum auf der falschen Seite steht, muss sich auf feindselige Aktionen gefasst machen. In den meisten Fällen bedeutet das Sanktionen, Strafzölle oder Wahlkampfeinmischung, doch das Beispiel Venezuela zeigt, dass es mitunter an die Monroe-Doktrin der vergangenen zwei Jahrhunderte erinnern kann. Eine tatsächliche Militärinvasion hat die Trump-Regierung zwar noch nicht vollzogen – doch sie gefällt sich offenbar damit, mit diesem Gespenst zu drohen. Für den "Hinterhof" der USA kehrt die Ära der Einflusszonen zurück.

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