Der Wahlkampf für die Wahl 2024 hat mit den Primaries begonnen. Wir erklären, was du für die kommenden Monate wissen musst.
Ein Überblick | Republikaner | Demokraten
(16 Minuten Lesezeit)
21.01.2024
Blitzzusammenfassung_(in 30 Sekunden)
- Im November wählen die USA. Es dürfte erneut Biden gegen Trump lauten.
- Hauptthemen im frühen Wahlkampf waren bislang Migration, Wirtschaft, Außenpolitik, Demokratie und Abtreibung.
- Beide Kandidaten sind unbeliebt, der Amtsinhaber etwas unbeliebter. Doch noch kann vieles passieren.
- Bei den Republikanern beginnt derzeit die Krönung Trumps. Weder Nikki Haley noch Ron DeSantis haben ernsthafte Chancen, ihn zu schlagen - dabei galt gerade zweiterer lange als Trump-Alternative.
- Die Demokraten haben sich auf Präsident Biden als Kandidaten festgelegt. Damit gehen einige Risiken einher.
- Wildcards: Drittkandidaten sind dieses Mal besonders selbstbewusst und Trump wird von einer Reihe an Rechtssorgen geplagt.
- Für ernsthafte Prognosen ist es noch zu früh, doch fest steht: Die Wahl wird knapp.
Ein Überblick_
(6 Minuten Lesezeit)
Am 5. November 2024 ist es einmal wieder so weit: Die wichtigste Wahl der Welt findet statt. Die 50. Präsidentschaftswahl überragt ein riesiges Wahljahr, mit über 40 Wahlen in aller Welt. Sie dürfte den Verlauf des weiteren Jahrzehnts und auch darüber hinaus so sehr bestimmen, wie kaum ein anderes Einzelereignis.
So ganz in die heiße Phase ist der Wahlkampf noch nicht gestartet. Das ist ab Ende des Sommers der Fall. Doch mit dem Beginn der republikanischen Vorwahlen (primaries) wird die bevorstehende Abstimmung plötzlich wieder so richtig greifbar. Und da sie so kompliziert und ungewöhnlich ist, wie keine andere US-Wahl seit langem, ist ein Explainer angebracht.
Wir zeigen kurz die Gemengelage der Wahl, werfen dann einen tieferen Blick auf die drei Kandidaten der Republikaner und einen kürzeren auf die Demokraten. Der erste, aber nicht der letzte Ratgeber zur US-Wahl 2024.
Biden v Trump
Die US-Präsidentschaftswahl läuft auf einen erneuten Wettkampf zwischen Joe Biden und Donald Trump hinaus. Bei den Demokraten wagt kein ernsthafter Rivale, den Amtsinhaber Biden herauszufordern; bei den Republikanern führt Ex-Präsident Trump mit praktisch uneinholbarem Vorsprung. Der Sieger erhält eine erneute und in beiden Fällen letzte vierjährige Amtszeit.
Neben dem Präsidenten werden alle Sitze im 435-köpfigen Repräsentantenhaus, dem Unterhaus des Kongresses, und 34 der 100 Senatoren neugewählt. Das Unterhaus wird in den Kongresswahlbezirken, grob gesagt Wahlkreisen, gewählt; der Senat auf bundesstaatlicher Ebene. Die Zusammensetzung des Kongresses wird die Gesetzgebung des Landes und die Gestaltungsfähigkeit des Präsidenten maßgeblich beeinflussen. Derzeit halten die Republikaner das Repräsentantenhaus mit einer schmalen, volatilen Mehrheit und die Demokraten den Senat mit einer noch dünneren, aber dafür zuverlässigeren Mehrheit.
Für Prognosen ist es noch etwas zu früh. Grundsätzlich: Im Repräsentantenhaus haben die Republikaner leicht bessere Chancen auf eine Mehrheit. Im Senat ist ihr Sieg noch wahrscheinlicher, da nur 11 Sitze der Republikaner neugewählt werden, aber 23 der Demokraten. In der Präsidentschaftswahl haben sowohl Trump als auch Biden absolut reelle Chancen. Trump schob sich in den Umfragen jüngst an Biden vorbei, doch das ist 10 Monate vor der Wahl noch nicht allzu vielsagend. Da die USA ein Mehrheitswahlrecht auf Staatenebene verwenden, kommt es nur auf eine Handvoll von Bundesstaaten an, welche zwischen Republikanern und Demokraten kompetitiv sind. Das sind die battleground states, die Schlachtfelder.
Gut zu wissen: Als battleground states werden meist Pennsylvania, Arizona, Georgia, Michigan, Nevada und Wisconsin gewertet. Ein anderer Begriff lautet swing states.

Die Dritten
Verkompliziert wird die Wahl dieses Jahr durch Drittkandidaten. Die Unbeliebtheit beider großer Kandidaten animiert Herausforderer von den Seitenlinien, mitzumischen. Da wären die Grünen unter Jill Stein, welche 2016 womöglich zur Wahlniederlage von Hillary Clinton beigetragen hatten. Der Linkspopulist Cornel West, ein Philosoph und öffentlicher Intellektueller, und der Dynastiensohn Robert F. Kennedy, welcher mit einer großen Zahl skurriler Thesen aufgefallen ist. Sie treten als unabhängige Kandidaten an. Die Gruppe "No Labels" sieht sich als "nationale Bewegung von Amerikanern mit gesundem Menschenverstand" und turtelt mit einer Kandidatur, muss aber noch einen Kandidaten finden. Spekuliert wird über Andrew Yang, einen Unternehmer, welcher 2020 in den Primaries der Demokraten gescheitert war, und ausgerechnet Joe Manchin, ein Senator, welcher Biden als konservativster Demokrat oft ein Dorn in der legislativen Seite war.
Drittkandidaten haben es in den USA traditionell schwer. Das Mehrheitswahlrecht macht es praktisch unsinnig, für sie zu stimmen, bis sie nicht groß genug sind, eine echte Chance auf die Mehrheit zu besitzen. Und auch institutionell und finanziell sind sie benachteiligt. Doch in einer engen Wahl kann ein Drittkandidat das Zünglein an der Waage sein. Und derzeit kommen sie in den Umfragen auf meist 10 Prozent, manchmal gar 20 Prozent - mehr als ein Zünglein, das ist eine ganze Zunge. Traditionell schmilzt das bis zur Wahl herab, da Umfrageteilnehmer sich zunehmend fragen, wo ihre Stimme tatsächlich am besten aufgehoben ist. Doch wenn wenige Zehntausende oder Tausende Stimmen den Unterschied zwischen Trump oder Biden machen werden, geraten selbst kleine Drittkandidaten zum Faktor.
Während die Grünen und Cornel West relativ eindeutig vom linken Rand der Demokraten zehren dürften, ist es bei Kennedy, dem derzeit beliebtesten Drittkandidaten, oder No Labels noch deutlich schwieriger zu sagen, von wem sie Stimmen wegnehmen.
Die Themen, die zählen
Migration, Wirtschaft, Außenpolitik, Demokratie und Gesellschaftspolitik bestimmen den US-Wahlkampf. Die Republikaner attackieren Biden durchaus erfolgreich aufgrund einer rasant zugenommenen illegalen Migration an der südlichen Grenze, welche das Weiße Haus bisher nur mit wenig Enthusiasmus einzudämmen versucht hat. Es half nicht, dass ein Gericht jenes Gesetz gekippt hat, mit welchem die Biden-Regierung die Überquerungen tatsächlich etwas eingedämmt bekommen hatte.
Die Wirtschaft wirkt auf viele US-Amerikaner desaströs, vor allem aufgrund der langen Inflationsphase. Der Arbeitsmarkt ist zwar beeindruckend robust, die Inflation hat schneller als im Rest der entwickelten Welt abgenommen, die befürchtete Rezession blieb aus und der Aktienmarkt, an welchem nahezu 60 Prozent aller Amerikaner investiert sind, ist auf einem Allzeithoch, doch das rechnet die Bevölkerung nicht dem Präsidenten an. Sein "Bidenomics" ist ein interessanter Mix aus grün-digitaler Industriepolitik und Sozialpolitik, doch erfährt wenig Beliebtheit. Das kann sich im Verlaufe der kommenden Monate noch ändern, wenn der Inflationsschreck eventuell nachlässt. Doch womöglich ist das Narrativ einer Misswirtschaft unter Biden bereits zu verankert.
Die Unterstützung der Ukraine gegen die russische Invasion wird vor allem von den rechtspopulistischen Trumpisten abgelehnt. Meist hat das isolationistische Untertöne - warum geht unser Steuergeld nach drüben? -, doch reicht mitunter bis ins aktiv Prorussische. Seit kurzem sorgt auch Bidens Umgang mit dem Israel-Hamas-Krieg für Unzufriedenheit, ausgerechnet innerhalb der Demokraten. Eine nicht kleine Zahl an progressiven Amerikanern und Arabisch-Amerikanern ist wütend über die proisraelische Linie der Regierung.
Gerade die Demokraten fürchten um ihre Demokratie, sollte Trump gewinnen. Der Ex-Präsident wettert gegen seine politischen Rivalen und droht ihnen mit der Inhaftierung; verkündet, nur "einen Tag lang" Diktator sein zu wollen. Tatsächlich hatte er schon in seiner ersten Amtszeit autoritäre Tendenzen erkennen lassen, in einer zweiten könnte das noch ausgeprägter sein - dazu später mehr. Demokraten, doch auch einige Unabhängige und moderate Republikaner machen sich ernsthafte Sorgen über die Gesundheit der Demokratie im Falle eines Trump-Siegs. Das ist das stärkste Narrativ der Biden-Regierung und jenes, welches sie am konsequentesten bespielt.
Die USA prägt seit Jahren ein "Kulturkampf" entlang gesellschaftspolitischer Positionen. Progressive plädieren für liberalere LGBT- und Abtreibungsrechte, mehr Repräsentation für Minderheiten, einen entspannteren Umgang mit Migration und striktere Waffengesetze. Konservative stehen mehrheitlich für das Gegenteil. Einige (doch inzwischen keinesfalls wenige) Progressive wählen ihre Pronomen, machen Transgenderrechte zum Lackmustest für Moralität, verlangen die Auflösung der Polizei, beklagen "toxische Maskulinität" und denken in erster Linie entlang gesellschaftlicher Machtdynamiken sowie "Rassebeziehungen". Bei Konservativen führt das zu Irritation und zumeist tiefer Ablehnung; einige beklagen im Gegenzug gar eine vermeintliche Diskriminierung der weißen Mehrheit in den USA. Obwohl der "Kulturkampf" wohl kaum der radikalste der US-Geschichte ist - man denke an den Bürgerkrieg 1861 zurück - verpasst er dem Wahlkampf eine schrille, feindselige Note. Progressive und Konservative sprechen immer öfter nicht mehr dieselbe Sprache und sehen nicht mehr dasselbe Land vor sich. Der große Block der moderaten Amerikaner, welcher medial etwas verloren geht, sieht sich zwischen diesen zwei Polen gefangen.
In den meisten der obigen Themen trauen die Amerikaner Trump mehrheitlich mehr zu als Biden. Sei es Immigration, Wirtschaft oder Außenpolitik. Nur beim Thema Abtreibung als einem zentralen Schauplatz des "Kulturkampfs" liegt Biden vorne. Es ist kein gutes Signal für den Amtsinhaber.
Die Lage bei den Republikanern_
(8,5 Minuten Lesezeit)

Der König ist zurück
Als sie am 15. Januar wieder an die Wahlurnen treten durften, wird sich das für viele Republikaner im kleinen Bundesstaat Iowa wie eine Heimkehr angefühlt haben: Sie durften wieder für Donald Trump abstimmen. Der Ex-Präsident erhielt 51 Prozent der Stimmen, die Nummer 2 kam nur auf 21 Prozent. So einen Vorsprung gab es in Iowa noch nie; 98 von 99 Wahlbezirken stimmten für Trump (im verbleibenden verlor er mit einer einzigen Stimme). Nur eine Stunde nach Beginn der Vorwahlen wurde Trump von Analysten und TV-Sendern bereits zum Sieger ausgerufen, zu diesem Zeitpunkt hatten einiger Wähler noch nicht einmal abgestimmt.
Und doch sind die Republikaner noch nicht so ganz die persönliche Partei von Trump. Immerhin stimmten 49 Prozent der Iowa-Republikaner nicht für ihn. Davon entfielen 8 Prozent auf Vivek Ramaswamy, einen exzentrischen und schwadronierenden Biotech-Unternehmer, welcher nun seinen Ausstieg aus dem Rennen bekanntgab (mit einem der ominösesten Abschiede, an welche sich die whathappened-Redaktion erinnern kann: "Es gibt keinen Weg für mich, der nächste Präsident zu werden, wenn nicht Dinge geschehen, die wir in diesem Land nicht sehen wollen"). Ramaswamys Wähler werden mit hoher Sicherheit zum Ex-Präsidenten umschwenken. Allerdings ist Iowa auch ein tendenziell Trump-freundlicherer Staat. Das Trump-skeptische Lager hat, rein theoretisch, eine Chance.
Ein Republikaner benötigt 1.215 Delegiertenstimmen, um beim Konvent der Republikaner Mitte Juli zum offiziellen Kandidaten für die Präsidentschaftswahl ausgerufen zu werden. Nach Iowa sind noch fast 2.400 zu vergeben. Das Problem für das Nicht-Trump-Lager ("Anti-Trump" würde nur in Teilen zutreffen) ist, dass es gespalten ist: Sowohl Ron DeSantis, Gouverneur aus Florida, und Nikki Haley, frühere UN-Botschafterin, sind im Rennen. In Iowa erzielte DeSantis 21 Prozent, Haley 19 Prozent. Beide pokern darauf, dass der andere aus dem Rennen aussteigt, doch beide signalisieren bisher keine Bereitschaft dafür, dass sie es selbst tun würden.
Gut zu wissen: Die Vorwahlen in Iowa und einer kleinen Zahl weiterer Bundesstaaten werden als sogenannter caucus abgehalten. Dabei handelt es sich im Grunde um eine Versammlung, in welcher öffentlich und indirekt abgestimmt wird. Bei den klassischen primaries wird dagegen heimlich und direkt votiert.
Ron DeSantis
DeSantis galt ein Weilchen lang als besserer Trump. Weniger exzentrisch, kalkulierter, jünger und mit reichlich politischer Erfahrung erinnerte er an den "klassischen" Republikaner der vergangenen Jahrzehnte. Mit einer tiefen Verwurzelung im "Kulturkampf" der USA und ähnlichen Plänen wie Trump erreichte er auch den Trumpschen Rechtspopulismus. Wo Trump nach seiner Wahlniederlage durch eine unbeliebte Phase ging, gewann DeSantis all seine Wahlen in Florida überzeugend. In einigen Umfragen war er plötzlich sogar beliebter als Trump; die konservative Boulevardzeitung New York Post nannte ihn Ron "DeFuture". Selbst Anfang 2023 erhielt DeSantis in Wahlumfragen der Republikaner noch 34 Prozent, immerhin in Sichtweite von Trumps 46 Prozent.
Seitdem hat DeSantis so sehr verloren, dass er in landesweiten Umfragen nur noch auf 11 Prozent kommt. Sein Absturz sorgt für viel Eindruck und Häme unter Beobachtern. Drei Gründe dürften dazu geführt haben:
Erstens, strategische Fehlentscheidungen. Da wäre eine ruinöse Schlammschlacht mit dem Unterhaltungskonzern Disney, die sehr späte Bekanntgabe der Kandidatur, der Rauswurf der wichtigen Beraterin Susie Wiles, welche stattdessen (mit viel Interna im Gepäck) zu Trumps Wahlkampfteam wechselte, und eine ungewöhnliche Kampagnenstruktur rund um einen chaotischen Super-PAC, also eine Art Lobby- und Fundraisingorganisation. Und DeSantis konnte sich nie so recht entscheiden, wie viel er oldschool-Republikaner und wie viel Trumpist er sein möchte: Den Ukrainekrieg winkte er erst als für die USA unwichtigen "territorialen Disput" ab, nur um nach schockierten Reaktionen aus dem moderaten Lager zurückzurudern.
Zweitens, der heftige Beschuss durch das Trump-Lager. Der Ex-Präsident und seine Berater erkannten DeSantis früh als größten Feind. Trump machte aus ihm in seinen Tweets wahlweise DeSanctimonious ("DeScheinheilig"), DeSaster oder TinyD (eine Anspielung auf dessen Körpergröße und wohl auch sein Geschlechtsorgan). Trump und seine Kampagne weckten erfolgreich Zweifel an DeSantis' Kompetenz und Ernsthaftigkeit.
Drittens, DeSantis leistete sich persönliche Fehltritte und kommunikative Fauxpas. Im besten Stile des medialen US-Wahlkampfs erreichte das abstruse Dimensionen: DeSantis wird vorgeworfen, Schokopudding mit drei bloßen Fingern gegessen zu haben (er verweigerte es, das zu dementieren). Aufgeregt wird diskutiert, ob der Gouverneur Schuhe mit geheimen Absätzen verwendet (Politico bittet 3 Schuhexperten zur Analyse). Und beim Lächeln oder Gesprächen mit gewöhnlichen US-Amerikanern wirkt der Kandidat, als müsste er sich auf das Menschsein konzentrieren. "Awkward Americans see themselves in Ron DeSantis" titelte die Washington Post in einem Artikel und lässt selbsternannt sozial unbeholfene Amerikaner zu Wort kommen, wie sie sich in dem strampelnden Gouverneur wiedererkennen.
Nikki Haley
Längste Zeit fielen alle Kandidaten neben Trump und DeSantis nur unter "ferner liefen", auch Ex-UN-Botschafterin und -Gouverneurin Nikki Haley. Sie dümpelte monatelang bei 4 Prozent in den landesweiten Umfragen der Republikaner herum, ab August startete sie dann den Siegeszug auf heute... 12 Prozent. Gegenüber 66 Prozent für Trump ist das kaum beeindruckend, doch in Anbetracht der Negativentwicklung von DeSantis schien sie wie der aufstrebende Stern des Nicht-Trump-Lagers. Große konservative Spender sattelten auf sie um.
Was genau Haleys Aufstieg ausgelöst hat, ist nicht ganz eindeutig. Als klassische Konservative, welche zumindest im Kontext der modernen Republikaner als moderat zu bezeichnen wäre, war sie stets eine attraktive Option für Nicht-Trumpisten. Mit der Zeit kristallisierte sie sich als Nummer 1 in diesem Feld heraus, auch dank starker TV-Debatten. Mit jedem großen Geldgeber, welcher sich für sie entschied, und mit jedem Stückchen "Momentum" (in etwa: positive Dynamik), welches die Medien ihr zuschrieben, wuchs der Haley-Schneeball etwas mehr an.
Das erkennt auch Trump, welcher seine frühere Botschafterin seit einigen Wochen stärker ins Fadenkreuz nimmt. Er verbreitete jüngst die falsche Theorie, dass sie aufgrund ihrer indischen Eltern gar nicht Präsidentin werden dürfe und nannte sie "Nimrada", eine Anspielung auf ihren Geburtsnamen Nimarata (im Stile der Birther-Verschwörungstheorie gegen Barack Obama). "Das tut er, wenn er sich unsicher fühlt", konterte Haley.
Ihr dritter Platz in der Iowa-Wahl war eine Enttäuschung, doch das Haley-Lager scheint das regelrecht zu ignorieren. Kandidatin und Team sprechen öffentlich so, als wäre DeSantis im Grunde bereits ausgeschieden, obwohl er ja sogar vor ihr abschnitt. Vielleicht kann die nächste Vorwahl im relativ moderaten New Hampshire am 23. Januar das zur Realität machen. Dort kommt Trump "nur" auf 49 Prozent, Haley folgt ihm mit 34 Prozent (DeSantis: 5 Prozent). Ein Überraschungssieg würde ihr einen bedeutsamen Schub verpassen, doch ist äußerst unwahrscheinlich. Auch ein zweiter Platz genügt vielleicht, um DeSantis zur Aufgabe zu bewegen und das Nicht-Trump-Lager auf Haley zu vereinen. Wahrscheinlicher ist, dass DeSantis mindestens die Wahl danach in South Carolina abwartet. Vielleicht, denn wer weiß das schon.
Gut zu wissen: Wenn wir Umfragewerte zitieren, beziehen wir uns in der Regel auf die Analyseplattform FiveThirtyEight, welche einen gewichteten Schnitt unterschiedlicher Umfragen bietet.
Es gibt nur einen Trump
Der Ex-Präsident benötigt keine Einführung und wenig Erklärung. Es sieht nicht so aus, als könnte ihn jemand von der Kandidatur abhalten. Weder DeSantis noch Haley wollen aussteigen. Je länger einer wartet, umso irrelevanter wird es für das Gesamtergebnis. Doch auch wenn es sofort zu einem Zwei-Kandidaten-Rennen geriete, wäre Trump der absolute Favorit. Am 5. März, dem "Super Tuesday" mit mehreren Primaries, könnte sein Sieg auch mathematisch feststehen. Ein selbstbewusster Trump behandelt seine Rivalen plötzlich gar gnädig; nennt sie "sehr intelligente, sehr fähige Leute", mit welchen man bald "zusammenkommen" werde. Rechne also damit, dass Trump im November zur Wahl stehen wird.
Um uns den Effekt einer Wiederwahl von Donald Trump anzuschauen, bleibt noch reichlich Zeit. Die Kurzvariante: Ein heftiger Rechtsruck in der US-Politik, was etwa Migration oder Sozialpolitik betrifft. Eine isolationistische Außenpolitik, aggressive Handelspolitik und transatlantischer Streit dürften die Folge sein. Die amerikanische Klimapolitik, unter Biden mit dem Inflation Reduction Act (IRA) erst wirklich zum Leben erweckt, dürfte eingestampft werden. Doch so ganz genau wissen wir das nicht: Trump sagt nie viel zu konkreter Politik.
Sehr wahrscheinlich ist, dass "Trump #2" von mehr Rechtspopulismus, institutioneller Kontrolle und weniger Chaos geprägt wäre. In seiner Amtszeit von 2016 bis 2021 waren Trump und die Trumpisten unter seinen Beratern institutionell unerfahren und überfordert. Stattdessen umgab sie eine Reihe erfahrener, moderater Berufspolitiker (und, aus irgendeinem Grund, Ex-Exxon-Chef Rex Tillerson als Außenminister). Sie hegten Trumps ärgste Impulse ein, auch wenn das zu einem so in der US-Geschichte einzigartigen Personalkarussell führte.
In die US-Wahl 2024 geht das Trumpisten-Lager mit deutlich mehr Erfahrung und Struktur. Das zeigt sich nicht nur im Wahlkampf, welcher viel professioneller geführt wird, sondern auch in den "Schattenstrukturen" für eine mögliche Regierungsübernahme. Berufspolitiker sind dort die Ausnahme, stattdessen besteht das Team aus Trump-Loyalisten, Kulturkriegern und Verschwörungstheoretikern. Vorbereitungen werden getroffen, um selbst Beamte in den zweiten und dritten Reihen der Behörden mit Loyalisten zu ersetzen. Der Ex-Präsident greift nach den Institutionen - und auf dem Weg dorthin tief in die Populismuskiste.
Beispiele für Trumps aufgedrehten Rechtspopulismus gibt es zuhauf. In einem Video, in welchem er sich (womöglich als sarkastische Retourkutsche auf ein DeSantis-Video) als gottgesandt darstellt, erklärt er, "Marxisten" bekämpfen und das "streitsüchtige Weltwirtschaftsforum" zähmen zu wollen. Ersteres bezieht sich auf die Idee eines "kulturellen Marxismus" als ideologische Triebfeder hinter dem gesellschaftlichen Progressivismus in den USA, zweiteres auf die latent verschwörungstheoretische Vorstellung, dass das WEF Plattform für eine Kabale verschwörerischer, weltenkontrollierender Eliten sei (WEF-Gründer Klaus Schwab ist in diesen Kreisen zum Unwort verkommen). Trump wettert gegen George Soros, einen jüdischen Unternehmer und Philanthropen, welcher die wohl singulär beliebteste Figur für latent antisemitische Weltverschwörungstheorien darstellt (laut einer New York Times-Journalistin erwog Trump den Spitznamen "Ron DeSoros" für seinen Rivalen DeSantis). Und politische Gegner nannte er "Ungeziefer" und "Schneeflocken", deren "Existenz zerstampft" werde, sobald er die Wahl gewonnen habe. Dazu die klassischen Narrative von Lügenpresse, korrupten Demokraten und einem elitären "Deep State", welcher gegen die Interessen des amerikanischen Volkes arbeite.
Trump und das Recht
Wenn Trump schon nicht von seinen innerparteilichen Rivalen gestoppt werden kann, so doch vielleicht von seinen rechtlichen Problemen. Vier große Anklagen mit 91 Anklagepunkten gegen ihn laufen, dazu einige weitere, welche ihn nicht ins Gefängnis bringen können. Wir erklärten die Verfahren bereits im August 2023 in einem Explainer im Detail. Hier die Turbofassung:
- Trump habe mit einer Schweigegeldzahlung Steuerregeln und Wahlkampagnen-Finanzierungsregeln verletzt
- Er habe Geheimdokumente aus dem Weißen Haus mitgenommen, ihre Herausgabe verweigert und die Ermittler bei der Rückholung behindert
- Er habe sich durch die Versuche, das Wahlergebnis 2020 zu kippen, gegen die USA verschworen
- Und er habe im Bundesstaat Georgia versucht, das Wahlergebnis illegal zu beeinflussen
Von einer Kandidatur abhalten können die Verfahren ihn nicht. Trump darf als Angeklagter, Verurteilter und Häftling antreten und auch die Präsidentschaft ausüben, auch wenn letzteres juristisches Neuland darstellen würde. Sie könnten allerdings die Wähler abschrecken, was auch Umfragen nahelegen. Entsprechend versucht die Trump-Kampagne, seine Verfahren nach hinten zu schieben: Hinter die republikanischen Primaries und idealerweise auch hinter die Präsidentschaftswahl. Wie gut ihnen das gelingen wird und wie sehr sich die Verfahren auf Trumps Zustimmungswerte auswirken werden, erleben wir in den kommenden Monaten. Zumindest bei den Republikanern dürften sie ihm aber nicht schaden: Mit jeder rechtlichen Sorge wuchs der Rückhalt des Ex-Präsidenten in seiner Partei. Wo die Demokraten das Rechtssystem am Arbeiten erkennen, sehen die Trump-Unterstützer einen kriminell-korrupten Deep State auf Hexenjagd.
Die Lage bei den Demokraten_
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Kein Weg vorbei
Kein relevanter Herausforderer unter den Demokraten macht Präsident Joe Biden die erneute Kandidatur streitig. Amtsinhaber haben das Zuschlagsrecht, und doch war es diesmal weniger sicher als üblich: Bidens Zustimmungswerte sind schlecht, sein Alter von 81 Jahren ein ständiges Politikum. 55 Prozent der Amerikaner sehen es als Hindernis für den Präsidenten, seine Aufgaben zu erfüllen. Selbst innerhalb seiner Partei ist er alles andere als unumstritten; der progressive Flügel ist inhaltlich an vielen Stellen verärgert mit seinem Präsidenten und noch immer knapp 25 Prozent der Demokraten stimmen dem Altersargument zu. 38 Prozent jener Amerikaner, welche 2020 für ihn gestimmt hatten, wollten nicht, dass er erneut antritt.
Gut zu wissen: Gelegentliche Versprecher und Stolperer des Präsidenten mögen oder mögen nicht mit seinem Alter zusammenhängen (das zu beurteilen ist nicht unsere Rolle; auch wenn als Gegenhypothese ein möglicher Zusammenhang mit seinem lebenslangen Stottern erwähnt sei), ist für seinen Wahlkampf aber in jedem Fall ein kommunikatives Risiko. Bidens Team ergreift deswegen Maßnahmen, um Stürze so unwahrscheinlich wie möglich zu machen. Ein Sturz im falschen Moment könnte wortwörtlich wahlentscheidend werden.
Ein Weilchen lang war das die große Frage, ob Biden vielleicht gar nicht antritt. Als er es doch tat, wurde gemunkelt, ob es einen Herausforderer geben könnte, doch der materialisierte sich nicht. Nun ist es im Grunde zu spät für die Demokraten, das Projekt "Biden 2" abzubrechen. Mit dem Verständnis, dass man sich an dieses Schiff gekettet hat, zeigt sich die Partei bisher recht einstimmig; es gibt kaum offenen Streit oder Dissens von namhaften Demokraten. Und doch führen die schwachen Werte ihres Kandidaten und Trumps Führung in den Umfragen zu markantem Unwohlsein in der Partei.
Bidens Team gibt sich demonstrativ gelassen. Der Präsident war bereits in der Vergangenheit unterschätzt worden, betonen sie. Sei es in den Primaries 2020, der Präsidentschaftswahl 2020 oder den Midterms 2022 (wo die Demokraten überraschend gut im Kongress abschnitten). Sie erwarten, dass die Wähler in den kommenden Monaten die ordentliche Wirtschaftslage stärker spüren und Biden zurechnen werden; und dass Trumps Wiedererscheinen auf der öffentlichen Bühne, inmitten von Wahlkampf und Rechtssorgen, unangenehme Erinnerungen an die chaotischen Jahre 2016 bis 2021 wecken wird, was Biden zugutekäme. Das ist möglich. Aber es ist eben auch nicht garantiert.
Die Glaskugel ist unklar
Drittparteien, Anklagen, Alter, Inflation und Geopolitik - der Ausgang der Präsidentschaftswahl 2024 wird von vielen, schwierig vorauszusagenden Variablen beeinflusst. Eine Prognose zum jetzigen Zeitpunkt ist witzlos. Außer, dass diese Wahl eng wird. Erwarte einen stressigen Oktober und November und ein Resultat, welches sich an Wichtigkeit nicht überschätzen lässt.
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