September 28, 2025
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12 Minuten Lesezeit

Moldau zwischen Ost und West

Ein kleines Land steht stellvertretend für einen großen Konflikt.
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Blitzzusammenfassung_ (in 30 Sekunden)
  • Moldau wählt heute sein Parlament. Ein (regierendes) proeuropäisches und ein prorussisches Lager stehen sich gegenüber. Das Wahlergebnis ist kaum vorherzusagen.
  • Die Wahl ist gezeichnet durch massive russische Einflussoperationen, darunter nachweisliche Social-Media-Desinformationskampagnen, mutmaßliche Bestechungsversuche sowie Weiteres.
  • Es wäre nicht das erste Mal: Russland übt seit 2022 auf diese Weise Einfluss auf Moldau unter der proeuropäischen Präsidentin Maia Sandu aus.
  • Die Trennung in die zwei Blöcke hängt mit Moldaus Geschichte zwischen Rumänien und Russland zusammen.
  • Das führte 1990-92 zu einem Bürgerkrieg, bei welchem sich das prorussische Transnistrien dank Hilfe aus Moskau abtrennte – und bis heute von einer kleinen russischen Garnison beschützt wird.
  • Moldau steht damit nicht nur stellvertretend für ein politisches Kräftemessen zwischen der EU und Russland, sondern hat auch eine kleine strategische Dimension für den Ukrainekrieg.

Der Hintergrund_

(6 Minuten Lesezeit)

Die Republik Moldau, auch als Moldawien bekannt, wählt heute ihr Parlament. Sie ist nicht der intuitivste Kandidat für viel Aufmerksamkeit. Das Land hat ein Zehntel der Fläche Deutschlands und mit ca. 2,4 Millionen Einwohnern nicht einmal ein 35-tel der Bevölkerung. Seine Geschichte sticht aus seiner Region nicht heraus und zwischen den größeren Nachbarn Ukraine und Rumänien besitzt der Binnenstaat (welcher einige Hundert Meter vom Schwarzen Meer entfernt ist) auch heute keine gesonderte regionale Bedeutung. Nach BIP pro Kopf ist Moldau heute das ärmste Land Europas (19.678 USD, kaufkraftbereinigt), seitdem der Kosovo daran vorbeigerückt ist.

Wofür Moldau heute jedoch steht, ist der Konflikt zwischen prowestlichen und prorussischen Kräften im ehemals sowjetisch beeinflussten Europa. Es fungiert derzeit als Symbol für europäische Softpower (oder die Mängel dieser) und für subversive russische Aktionen – militärisch, digital und an den Wahlurnen

Moldaus Geschichte

Moldau ist ein vergleichsweise junges Land und spielte historisch eine weniger bedeutsame Rolle als seine Umgebung. Die Daker im heutigen Rumänien waren eine Regionalmacht in der römischen Antike. Die Bulgaren bestimmten die Spätantike des Balkans und des westlichen Schwarzmeergebiets. Und die Rus in der Ukraine dominierten das osteuropäische Früh- und Hochmittelalter. Das Gebiet des heutigen Moldau erlebte diese und andere historische Momente mit, definierte sie aber nie.

Im Jahr 1359 entstand mit dem Fürstentum Moldau das erste eigenständige Staatsgebilde. Es sollte zum Vorgängerstaat Rumäniens und des modernen Moldaus werden, doch nicht, bevor es von 1498 bis 1859 zum Vasallenstaat des türkischen Osmanenreichs geriet – und im Anschluss vom Russischen Kaiserreich geschluckt wurde.

Nach den russischen Revolutionen 1917/18 erklärte sich Moldau erst zur autonomen Republik, und dann für unabhängig. Nach einer Abstimmung im Parlament schloss Moldau sich Rumänien an, welches ein halbes Jahrhundert vorher die Unabhängigkeit von den Osmanen erkämpft hatte, auch dank russischer Unterstützung (wobei Russland umgehend ein Versprechen brach und den östlichen Teil des neuen Rumäniens für sich annektierte).

Moldau oder Rumänien

Der freiwillige Anschluss an Rumänien berührt eine heikle, doch in Ost- und Zentraleuropa nicht ungewöhnliche Frage: Inwiefern stellen Moldauer und Rumänen ein Volk und eine Kultur dar oder eben separate? Dabei geht es nicht nur um die eigene Legitimation, Territorialansprüche oder nationalistisch motivierte Hierarchien, sondern auch um die Ausrichtung nach Osten oder Westen.

Als Moldau 1991 von der Sowjetunion unabhängig wurde, ernannte es Rumänisch zur offiziellen Sprache – auch wenn der Name 1994 zu Moldauisch geändert wurde. 2023 erfolgte dann die Zurückbenennung zu Rumänisch. Zwischen dem "Standardrumänischen" und jenem, das in Moldau gesprochen wird, gibt es kaum relevante Unterschiede, wenn man Linguisten fragt. Anders in der Bevölkerung, wo fast die Hälfte für sich eine moldauische Sprache beansprucht. Ähnlich zerstritten ist das Bild bei der Frage, ob Moldauer ethnisch Rumänen sind oder nicht.

Die Gemengelage ist dabei, dass ein eher liberales, intellektuelles und prowestliches Lager die Assoziation zu Rumänien sucht. Ein politischer Anschluss im Geiste eines Pan-Rumänismus wird von knapp 30 Prozent der Bevölkerung unterstützt, existiert in der Parteienpolitik jedoch nicht als relevante Position. Prorussische Moldauer heben hingegen die eigene Identität hervor. Dieser "Moldovenismus" geht auf eine russische und sowjetische Tradition zurück, in der die moldauische (bzw. "bessarabische") Identität gefördert wurde, um den Einfluss des unabhängigen Rumäniens abzublocken. Auf diplomatischer Ebene wechselt das Verhältnis zwischen Moldau und Rumänien entsprechend obiger Trennlinien: Unter der aktuellen prowestlichen Präsidentin Maia Sandu ist es ausgezeichnet, unter ihrem prorussischen Vorgänger Igor Dodon war es hitzig.

Gut zu wissen: Zwischen 850.000 und 1 Million Moldauer, also über 40 Prozent der Bevölkerung, besitzen den rumänischen Pass. Rumänien bietet ihn jedem, der einen rumänischen Hintergrund nachweisen kann.

Unabhängigkeit

Die Vereinigung mit Rumänien 1918 hielt nicht lange: Die Sowjetunion attackierte und besetzte 1940 Bessarabien, welches als Gebiet fast das gesamte Moldau ausmacht (sowie einige weitere Territorien). Bessarabien wanderte in die Moldauische Sozialistische Sowjetrepublik (SSR), mit welcher die heutigen Grenzen Moldaus festgelegt wurden. Wie in vielen anderen Sowjetrepubliken folgten Deportationen, Ermordungen, Diskriminierungen, landwirtschaftliche Kollektivierungen, Misswirtschaft mit mehreren schweren Dürren und erzwungene Russifizierung – aber auch eine rasche Industrialisierung und ein Anstieg des Bildungsniveaus. 1991 zerfiel die Sowjetunion und Moldau wurde erneut unabhängig, diesmal in seinen neuen Grenzen.

Mit dem sich abzeichnenden Zerfall der Sowjetunion war in Moldau ein Richtungsstreit ausgebrochen. Auf der einen Seite – und ähnlich zur heutigen Situation – war ein antisowjetisches, antirussisches und prorumänisches Lager, welches sich von der Liberalisierung der Sowjetunion in den 1980ern sowie ihrem absehbaren Zerfall bestärkt fühlte und einen Ultranationalismus verfolgte. Dieses Lager dominierte damals die Politik. Auf der anderen Seite war ein prorussisches, prosowjetisches und antirumänisches Lager. Es bestand teils aus Russen und Ukrainern, welche bei den Grenzziehungen 1924 und 1940 aus der ukrainischen SSR in die moldauische SSR geraten waren – und nun keinerlei Wunsch hatten, in einem unabhängigen Moldau in Rumänien hineinzurutschen.

Tiraspol, die Hauptstadt Transnistriens, hier in einer Aufnahme aus 2013. Das Plakat zeigt das Wappen Transnistriens, welches sich auch in der Flagge findet - mitsamt Hammer und Sichel. Quelle: Clay Gilliland, flickr
Transnistrien

Da sich das nationalistische Lager durchsetzte, zogen sich die Pro-Russen in die Region Transnistrien zurück, am östlichen Dnister-Ufer und damit direkt an der Ukraine gelegen. Sie riefen dort die Unabhängigkeit aus. Moldau und Transnistrien begannen umgehend mit dem Aufbau eigener Armeen, und im November 1990 brach ein Krieg aus. Moldau wurde von Rumänien unterstützt; Transnistrien von Russland in Form der dort stationierten 14. Armee sowie Freiwilligen aus der Ukraine. Der Konflikt schwappte etwas hin und her, bevor sich bis Juli 1992 ein Patt einstellte. Transnistrien war de-facto unabhängig, maßgeblich dank russischer Hilfe.

Transnistrien ist heute ein ungewöhnliches Konstrukt. Ein schmaler Landstrich, welcher nur von zwei anderen russisch forcierten Separatistengebieten in seiner Staatlichkeit anerkannt wird (Südossetien und Abchasien, beide Teile Georgiens). Gesprochen wird Russisch, Moldauisch wird im kyrillischen Alphabet geschrieben, Hammer und Sichel zieren die Landesflagge und gezahlt wird mit dem transnistrischen Rubel. Viele Transnistrier besitzen den russischen Pass und Russland zahlt die Renten und subventioniert die Energie; es ist außerdem der wichtigste Handelspartner.

Russland dominiert Transnistrien nicht nur kulturell und wirtschaftlich, sondern stellt militärisch seine de-facto Unabhängigkeit sicher. Nach Ende des Kriegs 1990-92 blieben russische Soldaten als "Friedenstruppen" vor Ort. Russland versprach 1994 und 1999 erneut einen Abzug seiner Truppen, doch ignorierte diese Versprechen. 2016 folgte ein weiteres Versprechen, gepaart mit der offenbar vorgeschobenen Begründung, dass erst die Waffendepots der 14. Armee liquidiert werden müssten. Moldau fordert wiederum regelmäßig, dass Russland seine Truppenpräsenz in der abtrünnigen Region beendet; 2016 und 2018 riefen auch die NATO und die UN dazu auf.

Transnistrien, links, rot markiert. Russische Besatzungen in der Ukraine ebenfalls rot markiert. Dazwischen: ca. 130 Kilometer Luftlinie und die ukrainische Hafenstadt Odessa. Quelle: DeepStateMap
Karten neu gemischt

Für Russland hat Transnistrien seit dem Ukrainekrieg 2014, vor allem aber der vollumfänglichen Invasion 2022, eine neue strategische Dimension angenommen. Nicht direkt militärisch: Die vermutlich nur rund anderthalbtausend russischen Soldaten vor Ort sind militärisch keine Bedrohung für die Ukraine, das isolierte Transnistrien ist auch kein Hub für Drohnenattacken oder Ähnliches, und anders als Kaliningrad kann Russland die Region auch nicht ohne Weiteres über Luft erreichen. Doch wäre Russland imstande, den Süden der Ukraine rund um Odessa stärker in Bedrängnis zu bringen, könnte Transnistrien plötzlich an den Rest Russlands angeknüpft werden – militärlogistisch und letzten Endes auch territorial.

Für Transnistrien ist der Ukrainekrieg dabei in erster Linie ein existenzielles Risiko. Die wirtschaftliche Lage ist durch die feindselige Haltung der Ukraine und die Ablenkung Russlands prekär; die Behörden beklagen einen "wirtschaftlichen Würgegriff" durch Moldau, welches wenig Interesse daran hat, sein Separatistengebiet zu stabilisieren. Da ein Angriff durch die übermächtige Ukraine eine hypothetische Gefahr ist (mit welcher Kiew zeitweise öffentlich spielte, aber keine Anstalten macht, sie zu realisieren), hält sich Transnistrien aus dem Konflikt heraus und bezieht nicht einmal offiziell Stellung. Auch Moskau versteht, dass es seinen volatilen Vorposten rasch einbüßen würde, sollte es ihn zum aktuellen Zeitpunkt militärisch gegen die Ukraine wenden. Insgesamt sind die Szenarien, in welchen Transnistrien in den kommenden Jahren an Moldau angeschlossen wird, durch den Ukrainekrieg und das weitestgehende Patt, welches darin herrscht, wahrscheinlicher geworden.

Gut zu wissen: Viele Moldauer sind gar nicht an einer Reintegration Transnistriens interessiert. Sie wäre teuer und würde den prorussischen Teil der Bevölkerung vergrößern, zudem gilt das Gebiet auf der östlichen Dnister-Seite vielen gar nicht als ursprünglich moldauisch, sondern als von der Sowjetunion willkürlich angefügt.

Die Lage heute_

(3 Minuten Lesezeit)

Maia Sandu, Igor Dodon. Quelle: wikimedia
Die Post-Sowjet-Phase

Nach der Unabhängigkeit und dem Transnistrienkrieg durchlief Moldau eine sehr ähnliche Phase wie der Rest des postsowjetischen Europas. Marktliberale Reformen, allmähliche Institutionenbildung, die Entstehung einflussreicher Oligarchen (die zeitgleich als politische Elite fungierten), hohe Korruption und ein ständiger außenpolitischer Balanceakt zwischen Ost und West.

Ungewöhnlich an Moldau ist, dass zwischen 1998 und 2009 die Kommunistische Partei (PCRM) dominierte – das erste und einzige Mal, dass eine nicht-reformierte kommunistische Partei im postsowjetischen Raum an die Macht gelangte. Die PCRM setzte auf Moldovenismus (also die Abgrenzung zu Rumänien) und eine prorussische Sowjetnostalgie, war jedoch gesellschaftspolitisch eher konservativ, wirtschaftspolitisch eher pragmatisch (mehr mit linkspopulistischen als kommunistischen Parteien vergleichbar) und hielt an einer sanften Westannäherung fest.

Schwere Ausschreitungen nach der Wahl 2009, in welcher die Moldauer der PCRM Wahlbetrug vorwarfen, führten zu einer Neuwahl. Darin verlor die PCRM ihre Mehrheit an die prowestliche, zentristische Allianz für Europäische Integration (AIE), ein Bündnis aus mehreren Oppositionsparteien. Sie behielten zwar auch 2014 ihre Mehrheit, doch stärkste Partei wurde ein Verbündeter der PCRM: die Partei der Sozialisten (PSRM). Sie ist bis heute die wichtigste prorussische und euroskeptische Partei Moldaus. Zwei Jahre später siegte ihr Parteichef Igor Dodon in der Präsidentenwahl. Wenige Tage nach seiner Amtseinführung ließ er die Europaflagge vom Präsidentenpalast entfernen.

Maia SanduIn seiner Wahl setzte sich Dodon gegen niemand anderen durch als Maia Sandu. Sie ist im Grunde ein klassischer postsowjetischer Politiker-Archetyp: eine liberale Reformerin, welche in Harvard Public Policy (in etwa: Staatswesen) studiert und kurz bei der Weltbank gearbeitet hatte, die nun mit einer freundlich-populistischen, prowestlichen Partei, deren Fokus auf der Korruptionsbekämpfung lag, auf die politische Bühne ihres Heimatlandes stürmte.

Was ihr 2016 misslungen war, gelang ihr 2020. Sandu setzte sich gegen Amtsinhaber Dodon durch und wurde Präsidentin, als erste Frau. 2024 verteidigte sie ihr Amt. Sandus eigens gegründete liberale, proeuropäische Partei Aktion und Solidarität (PAS) folgte ihr 2021 mit einem starken Wahlsieg und der absoluten Mehrheit in die Regierung. Sandu und ihre PAS konnten die nächsten vier Jahre, bis heute, mit ihrem proeuropäischen Kurs durchregieren. Der Höhepunkt: Ihre Regierung eröffnete 2024 die Beitrittsverhandlungen mit der EU, wobei sie das entsprechende Referendum dafür in der Bevölkerung nur haarscharf mit 50,3 Prozent gewonnen hatte. Nach Ansicht vieler Moldauer ist das jedoch auch der einzige Höhepunkt; die PAS scheiterte mit vielen ihrer Versprechungen und verlor seit 2021 an Wählergunst.

Gut zu wissen: Korruption war und ist ein großes Problem in Moldau. Ex-Präsident Igor Dodon wurde 2022 wegen Korruption und Staatsverrat kurzzeitig verhaftet. Das stand auch im Zusammenhang mit einem Fall um Vladimir Plahotniuc, einem Oligarchen und von 2010 bis 2019 ein Machtzentrum des Landes. Ihm wird vorgeworfen, am Diebstahl von 1 Milliarde USD aus dem moldauischen Bankensystem beteiligt gewesen zu sein. Das entsprach damals 12 Prozent des BIP und über der Hälfte des Haushalts. Vor wenigen Tagen wurde Plahotniuc per Interpol-Haftbefehl in Griechenland verhaftet (beim Versuch, nach Dubai auszureisen) und nach Moldau überstellt.

Die Parlamentswahl

Vor der heutigen Wahl in Moldau am 28. September 2025 ist das die Gemengelage. Die PAS von Präsidentin Maia Sandu steht für das proeuropäische, rumänienfreundliche, liberal-zentristische Lager. Der prorussische Block hat sich in einer Allianz namens Patriotischer Wahlblock (BEP) zusammengeschlossen, erneut unter Igor Dodon. Als dritte, weitaus kleinere Kraft existiert ein Block namens "Alternative", welcher sich proeuropäisch präsentiert – also nominell den Beitritt zur EU anstrebt –, von Kritikern jedoch als "Trojanisches Pferd" des prorussischen Lagers bezeichnet wird.

Als Trifekta lässt sich auch die Stimmung in der Bevölkerung beschreiben. Knapp ein Drittel ist klar proeuropäisch, ein anderes Drittel klar prorussisch und das letzte Drittel irgendwo dazwischen, mit leichter Präferenz für Europa. Entsprechend ist das Wahlergebnis schwierig vorherzusagen: Umfragen gehen teils stark auseinander; ein Viertel der Wahlbevölkerung ist noch unentschlossen. Im Grunde steht es somit 50:50, dass sich die PAS durchsetzt oder doch der Oppositionsblock gewinnt. Selbst im Falle eines Sieges büßt die PAS wahrscheinlich ihre absolute Mehrheit ein, womit sie bestenfalls eine Koalition mit besagter undurchsichtiger "Alternative" schließen muss.

Russische Einflussoperationen_

(3 Minuten Lesezeit)

Quelle: wikimedia
Matryoschka

Bei kaum einer Wahl gab es im Vorfeld dermaßen viele Vorwürfe über russische Einflussnahme wie bei dieser. Auf der digitalen Ebene existiert eine beachtliche Menge an Falschinformationen, die teils ins Absurde reichen: Der Fake-Klon einer amerikanischen Promi-Website publizierte eine Story, wonach Präsidentin Sandu 400.000 USD für "illegal erlangtes Sperma" schwuler Prominenter erworben habe.

Offensichtlich ein Versuch, die Präsidentin zu diskreditieren. Sandu wurde schon in der Vergangenheit vom prorussisch-konservativen Block im Land dafür attackiert, dass sie Single ist; die genannte Fake News soll einen Eindruck moralischer Schwäche verstärken. Das Gewand einer internationalen Website soll wiederum für Legitimation sorgen. Zu guter Letzt wurde die Story über ein offenbar koordiniertes Netzwerk aus Social-Media-Accounts weiterverbreitet. Die Existenz solcher russisch finanzierter Netzwerke wird von der Regierung wie auch von zahlreichen NGOs, Thinktanks und Medienrecherchen behauptet.

Die Story ist nur ein Beispiel von sehr vielen für Social-Media-Desinformation, wie sie vor allem auf Telegram, TikTok und Facebook derzeit beobachtbar ist. Oft geht es dabei nicht einmal darum, dass die Rezipienten einzelne Nachrichten glauben; es genügt, wenn sich ein diffuses negatives Gefühl einstellt oder die schiere Flut an Desinformation dafür sorgt, dass Beobachter nicht mehr wissen, wem sie vertrauen können – und es vorsichtshalber bei niemandem tun. All das erinnert an andere russische Desinformationskampagnen. Die Moldauer Behörden vermuten das Desinformationsnetzwerk "Matryoschka" dahinter, welches etwa bereits in Frankreich mit Bots, Fake-Websites, gekauften Influencern und so weiter auffällig geworden war. Benannt ist es nach den schachtelbaren russischen Holzpuppen.

Bestechung, Bedrohung, Belagerung

Die moldauischen Behörden erkennen Social-Media-Desinformationskampagnen als nur eine von zehn Arten von Wahleinmischung, welche Russland derzeit betreibe. Ein anderer Vorwurf: Moskau kaufe direkt Wählerstimmen ein, vor allem bei den Auslandsmoldauern. Tatsächlich sind Anekdoten über bestochene Wähler in Moldau keine Seltenheit, die Assoziation zum prorussischen Oligarchen Ilan Shor ist ein offenes Geheimnis. Russland rekrutiere außerdem junge Männer von Sportvereinen und kriminellen Netzwerken, um ausschreitungsartige Proteste während oder im Nachspiel der Wahlen herzustellen, so die Sandu-Regierung. Hunderte Moldauer hätten sogar paramilitärisches Training in Serbien und Bosnien erhalten; Dutzende wurden deswegen verhaftet. Wahlbeamte sollen per kompromittierendem Material unter Druck gesetzt werden, berichtete wiederum Bloomberg mit Bezug auf russische interne Dokumente, welche zudem die Protest- und Cyberstrategie bestätigt hätten.

Nichts davon ist neu; Moldau erlebt solche Einflussoperationen seit mindestens 2022. Schon beim EU-Referendum 2024 und der parallel stattfindenden Wiederwahl Sandus erkannten die Behörden dieselben russischen Operationen. So wurden Auslandswähler in Deutschland in gleich vier Städten durch Bombendrohungen abgeschreckt.

Gut zu wissen: Ilan Shor war wie Plahotniuc ebenfalls in den 1-Milliarde-Bankbetrug involviert, er nennt die Vereinigung mit Russland "die einzige Rettung" für Moldau, und er leitete eine Partei, welche 2023 verboten wurde: Das Verfassungsgericht warf ihm vor, durch heftige Proteste das Land destabilisieren und einen Putsch herbeiführen zu wollen. Heute lebt er im Exil in Russland und besitzt die russische Staatsbürgerschaft. Heute ist er nicht nur mit dem mutmaßlichem Stimmenkauf assoziiert, sondern laut einer BBC-Recherche auch mit den Fake-News-Netzwerken.

Richtungsentscheid

Die prorussische Opposition dementiert all diese Vorwürfe. Sie seien ein Versuch, Angst zu schüren und die Opposition einzuschüchtern sowie zu delegitimieren. Stattdessen warnen sie, dass Sandu und die PAS Moldau in den Ukrainekrieg ziehen würden. Das Gegenteil ist vermutlich die Realität: Sollte Moldau einen prorussischen Kurs wählen, würde Moskau das Land stärker logistisch, diplomatisch und durch subversive Aktionen im Ukrainekrieg einsetzen. Die Erfahrung in Georgien zeigt zudem, dass die Dominanz einer prorussischen Partei schnell in einer eskalativen Spirale aus institutionellem Verfall, Staatsergreifung und Autoritarismus münden kann. Auch eine (haftfreie) Rückkehr wahrscheinlich korrupter Akteure wie Shor und Plahotniuc wäre wahrscheinlich.Für Moldau geht es somit um einen Richtungsentscheid zwischen Ost und West, mit sehr unterschiedlichen innen- und außenpolitischen Visionen. Für den Rest des Kontinents ist Moldaus Entscheidung interessant, weil es Implikationen für den Ukrainekrieg besitzt – doch noch mehr, weil es zum Lehrstück für russische Einflussoperationen wird. Und ein Indiz dafür bietet, ob der Reiz einer EU-Annäherung stark genug ist, um trotz solcher Einflussoperationen zu gewinnen.

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