Kein Weg führt aktuell an Nvidia vorbei. Doch warum eigentlich?
25.02.2024
Der Anfang | GPU-Mania | Die Zukunftperintelligenz | Richtungsstreit
(12 Minuten Lesezeit)
Blitzzusammenfassung_(in 30 Sekunden)
- Nvidia eilt derzeit von Rekord zu Rekord und ist binnen weniger Monate zu einer der wertvollsten Firmen der Welt geworden.
- War die Firma früher ein reiner Grafikkartenhersteller, so haben ihre GPUs heute ein zweites Leben als Basis aller modernen KI-Anwendungen erhalten.
- Als Technologieführer bei Hardware und Software in Sachen KI-Chips ist Nvidia Hauptprofiteur des KI-Booms, vor allem rund um Generative AI (ChatGPT und Co.).
- Es gibt gute Argumente, dass dieser mehr als ein kurzlebiger Hype bleibt, sondern nachhaltige, vielleicht gar transformative Auswirkungen hat. Nvidia-CEO Huang erkennt eine "neue Industrie".
- Hohe Margen, ungedeckte Nachfrage und aktive Konkurrenten dürften bedeuten, dass Nvidia seine astronomischen Ergebnisse nicht ewig halten können wird. Doch die Firma wirkt gut gewappnet, im Zentrum der neuen KI-Industrie zu verbleiben.
Der Anfang_
(3 Minuten Lesezeit)
Seit rund einem Jahr ist Nvidia eine Dauerschlagzeile. Die Chipfirma eilt von Meilenstein zu Meilenstein, bricht Rekorde, rückt ins Zentrum einer völlig neuen Industrie um Künstliche Intelligenz und löst damit derart viel Hype aus, dass sie eigenhändig die Märkte bewegt. In den 30 Jahren davor war sie vor allem Gamern ein Begriff. Es ist eine bemerkenswerte Story darüber, wie wichtig es sein kann, zum richtigen Zeitpunkt am sehr, sehr richtigen Ort zu sein. Und in den Jahren davor viel Arbeit hineinzustecken.
Jedem PC-Spieler ein Begriff
Nvidia wurde 1993 von drei Männern rund um den taiwanisch-amerikanischen Elektroingenieur Jensen Huang gegründet. Ihr Ziel war es, Grafikchips für den damals noch jungen Videospielmarkt zu entwickeln, in welchem sie korrekterweise ein hohes Absatzpotenzial bei zugleich hohen technischen Anforderungen erkannten. Einer Firma, welcher es gelang, die Probleme zu lösen und sich im Markt als dominant zu etablieren, würde kommerzieller Erfolg winken.
Das war leichter gesagt als getan, denn erste Produkte der Firma floppten. 1996 musste Huang die Hälfte der damals rund 100 Mitarbeiter entlassen; im August 1997 hatte Nvidia nur noch Geld für einen einzigen Monat an Gehältern. Dann gelang genau im richtigen Moment der Durchbruch: Der neue Chip RIVA 128 wurde zum großen Erfolg und verkaufte eine Million Einheiten binnen vier Monate. 1999 startete die in der PC-Videospielwelt berühmte GeForce-Reihe und kurz darauf erfolgte Nvidias Börsengang. Die Firma war gerettet; mehr noch, etabliert. Aus der Zeit der Unruhen verblieb bis heute das inoffizielle Firmenmotto: "Unsere Firma ist 30 Tage vom Bankrott entfernt".
Gut zu wissen: Nvidia hatte lange Zeit nach der Gründung keinen Namen. Die drei Gründer nannten all ihre Dateien damals „NV“ für „New Version“ und suchten davon inspiriert nach Wörtern, welche die Buchstabenfolge beinhalteten. Die Wahl fiel auf eine stilisierte Form von „invidia“, lateinisch für „Neid“.
Der Schritt ins Neue
In den Folgejahren etablierte sich Nvidia vollends als zentraler Player und Technologieführer im Markt für Grafikkarten. Es entwickelte Grafikhardware für Microsofts Xbox-Konsole, beriet Sony bei dessen PlayStation und blieb für PC-Spieler neben dem kleineren AMD die einzige Option. Die Grafikprozessoren der Firma, kurz GPUs (Graphic Processing Units), fanden sich in Hardware von Apple, Dell, HP und fast jeder anderen Firma, welche Grafikkarten benötigte. 2007 ernannte Forbes Nvidia zur Firma des Jahres.
Nvidia fertigt seine Chips nicht selbst, sondern ist ein sogenanntes „fabless“ Chipunternehmen, also ohne „Fab“ genannte Chipfabriken. Es designt seine GPU-Chips und lässt sie dann von Foundry-Unternehmen wie TSMC fertigen. Außerdem produziert es Datenzentren-Infrastruktur, welche heute die Basis für das Cloud Computing bilden, stellt Supercomputer her und entwickelt Software, welche gewissermaßen die Anweisungen für die GPUs formuliert und viel Einfluss auf ihre Effizienz und Leistungsfähigkeit nimmt.
Viele Jahre veränderte sich bei Nvidia wenig vordergründig, zumindest für Beobachter außerhalb der Videospielbranche. Die Firma feilte an ihrer Technologie, brachte jährlich bessere Grafikkarten heraus, kaufte kleinere Spezialisten auf (zum Beispiel den Entwickler des Physikprozessoren PhysX) und drängte in den Chipmarkt für Mobilgeräte. Doch im Hintergrund geschah so einiges. Schon 2006 begann Nvidia bei der Entwicklung von Supercomputern mitzumischen und ab 2016 setzte es seine Finanzkraft verstärkt für den Einstieg in verschiedene Hochtechnologien ein: Virtual Reality, autonomes Fahren, Cloud Computing. In allen diesen Feldern steuerte Nvidia Chiptechnologie bei, meist mit hochkarätigen Partnern.
Ungefähr zur selben Zeit gelangte die Künstliche Intelligenz in eine neue Phase: Die Technik des Deep Learnings rückte vor und besonders komplexe neuronale Netzwerke erlaubten besonders leistungsfähige KI-Anwendungen. Parallel mit den Fähigkeiten von KI stiegen ihre Sichtbarkeit und die kommerziellen Einsatzfelder. Es war Nvidia, welches die Nachfrage füllte - nämlich mit seinen GPUs und Supercomputern.
GPU-Mania_
(6 Minuten Lesezeit)

Quelle: HighyieldHarry, x.com
GPU vs CPU
Grafikprozessoren, GPUs, sind besonders gut geeignet für KI-Anwendungen. Während CPUs, Central Processing Units, viele Aufgaben in schneller Abfolge durchführen können, sind GPUs auf eine konkrete Aufgabe spezialisiert, welche sie effizienter und parallel durchführen. In Grafikanwendungen rendern GPUs die Grafik, übersetzen also praktisch Daten in Pixel, welche der Nutzer auf dem Bildschirm sehen kann. Das ist eine intensive Rechenarbeit, welche besser für die parallel arbeitenden und spezialisierten GPU geeignet ist, als für die sequentiellen, generalistischeren CPU.
Genauso sieht es bei anderen sehr rechenintensiven Aufgaben aus. Es ist kein Zufall, dass Nvidias erster großer Boom in den Jahren 2020 und 2021 mit Kryptowährungen zusammenhing: Das „Mining“ hinter Bitcoin, bei welchem Bitcoins für das Lösen von mathematischen Problemen vergeben werden, ist extrem rechenintensiv – mit steigendem Bitcoin-Preis aber auch zunehmend attraktiv. GPUs führen diese Aufgabe besser als CPUs durch, weswegen sich Bitcoin-Miner mit Nvidia-Grafikkarten eindeckten und diese zeitweise für Gamer nicht mehr zu haben waren.
Die GPU hinter dem GPT
Künstliche Intelligenz ist kaum etwas anderes, wenn nicht rechenintensiv, und damit ein perfekter Match für GPUs. Die Forscher in dem Feld, darunter der "KI-Prophet" Geoffrey Hinton, lange bei Google, und Ilya Sutskever, heute Chefwissenschaftler bei der KI-Schmiede OpenAI, realisierten bereits etwa um 2009 herum die Nützlichkeit von Nvidia-Grafikkarten für ihre KI-Anwendungen. In den Folgejahren nahm die Dynamik in dem Feld rasant zu, mit dem Aufstieg des Deep Learnings als KI-Technik ab 2012 umso mehr. Jensen Huang erkannte das Potenzial früher als die meisten anderen. Irgendwann in der Mitte der 2010er entriss er, öffentlich relativ unbemerkt, Nvidia den Gamern und übergab es der Künstlichen Intelligenz: "Wir sind keine Grafikkartenfirma mehr", zitierte Marketingvizepräsident Greg Estes eine damalige E-Mail von CEO Huang, "Ab Montagmorgen sind wir eine KI-Firma".
Huangs Wette auf KI wurde von Analysten eher mit Skepsis beäugt, immerhin hatte zuvor bereits der Schwenk zu Supercomputern wenig Gewinn hervorgebracht. Es sollte bis Ende 2022 dauern, bis ein einzigartiger Schub erfolgte und Huangs Vision bestätigte:Die Vorstellung von ChatGPT durch OpenAI. Die sogenannte Generative AI, welche auf besonders rechenintensiven großen Sprachmodellen basiert, trat ins Rampenlicht und auf bisher ungekanntes Echo in der Weltöffentlichkeit; ChatGPT wurde praktisch über Nacht zum kulturellen Moment und Diskussionsthema. In rasantem Tempo warfen sich große Techkonzerne wie Microsoft, Alphabet, Meta, Apple und Alibaba in die Generative AI; in der zweiten Reihe operieren spezialisierte Startups wie Anthropic, Aleph Alpha oder Mistral AI. Milliarden von US-Dollar flossen und fließen in das Feld.
Der große Profiteur ist Nvidia. Als Technologieführer bei GPUs, welcher außerdem auf KI spezialisierte Supercomputer und Software bietet, geriet er sofort zum Zulieferer der Generative AI. Die Techkonzerne benötigten kaum Überzeugung, immerhin hatte Nvidia den Supercomputer gestellt, mit welchem ChatGPT getestet worden war. Das neuste KI-System DGX H100, ein 170 Kilogramm schwerer Mix aus Hardware und Software, kostet bis zu 500.000 USD pro Stück und ist trotzdem auf Monate ausverkauft. Meta-CEO Mark Zuckerberg allein kündigte an, dieses Jahr Nvidia-Chips im Milliardenwert einkaufen zu wollen. Er hat wenig Wahl: Schätzungsweise 80 Prozent des Markts mit KI-relevanten GPUs gehören Nvidia. "Ein Krieg findet in der KI statt und Nvidia ist der einzige Waffenhändler", zitiert der New Yorker einen Wall-Street-Analysten.
Der Schaufelverkäufer im Goldgräberdorf
Die Ergebnisse für Nvidia waren nicht weniger als spektakulär. Kurz etwas Kontext: Im ersten Quartal 2019 (Q1 2019) betrug der Umsatz noch unter 2,5 Milliarden USD. Bis Anfang 2022 wuchs das auf 8,3 Milliarden USD an, immerhin eine Verdreifachung binnen drei Jahren. Es folgten fast 30 Prozent Minus, denn der Pandemie-Boom in Krypto und Gaming ließ nach. Zum Startschuss des Generative-AI-Hypes, in Q1 2023, betrug der Umsatz 7,2 Milliarden USD (siehe Grafik unten).
Dann ging es los. Im zweiten Quartal 2023 begann sich die Goldgräberstimmung um Generative AI in höheren Orderzahlen zu äußern. Der Umsatz verdoppelte sich nahezu auf 13,5 Milliarden USD, stieg in Q3 2023 auf 18,1 Milliarden USD und in Q4 2023 (was den Januar 2024 mitmeint) auf 22,1 Milliarden USD. Für das laufende Quartal erwartet Nvidia 24 Milliarden USD Umsatz. Damit hätte Nvidia seinen Umsatz binnen fünf Jahren fast verzehnfacht; in Q4 2023 war er auf Jahressicht um 265 Prozent gesprungen. Das wäre selbst für Startups keine Kleinigkeit, doch für einen börsennotierten Konzern mit Marktführerschaft in seiner Branche ist es fast unerhört. Von den nahezu 70 Prozent Bruttomarge, dank welchen Nvidia einen riesigen Gewinn einfährt, ganz zu schweigen.
Gut zu wissen: Wir beziehen uns mit unseren Quartalsangaben auf einen Mix aus Kalendar- und Geschäftsjahr: Nvidias Geschäftsjahr endet am letzten Sonntag des Januars. „Q4 2024“ ist damit also primär November und Dezember 2023 sowie Januar 2024. Unsere Notation erleichtert dir den Bezug auf das richtige Jahr, was für dich vermutlich wertvoller ist. Behalte im Kopf, dass das Berichtsquartal allerdings nicht exakt dem Kalendarquartal entspricht.

Der Märktebeweger
Anleger sind euphorisch. Wer das Glück oder die Vorahnung hatte, in Nvidia investiert zu sein, hat seit 2019 eine Verdreiundzwanzigfachung erlebt. Das gelang keinem Techriesen. Einige Analysten warnen zwar vor einer möglichen Blase, doch anders als "meme stocks" wie GameStop oder (zeitweise) Tesla, hat Nvidia die Zahlen, um seinen Hype zu untermauern. Obwohl sie ohnehin schon immens waren, schlug Nvidia die Erwartungen in den letzten Quartalen stets kräftig. Nvidias Zahlen sind dermaßen stark, dass das Kurs-Gewinn-Verhältnis (price/earnings ratio), welches anzeigt, wie "teuer" eine Aktie gemessen am Firmengewinn ist, trotz astronomischen Aktienpreises nur milde 33 Prozent über dem Zehnjahresdurchschnitt und nicht einmal annähernd am Rekordniveau liegt. Der Analyst Ryan Detrick von Carson Group passt ein altes Benjamin-Franklin-Zitat etwas an: "Wenige Dinge sind sicherer als der Tod, Steuern und dass Nvidia die Erwartungen schlägt".
Der Marktwert der Firma ist analog zum Aktienkurs in beeindruckende Höhen gestiegen, zuletzt erreichte sie gar die seltene 2-Billionen-USD-Marke und reiht sich damit in einen sehr kleinen Club aus Techkonzernen sowie saudi-arabischen Energieriesen ein. Allein am 22. Februar wuchs der Marktwert um 277 Milliarden USD, was den größten Tageszuwachs in der Geschichte darstellt, weit vor Metas bisherigem Rekord von 197 Milliarden USD. Binnen eines Tages hatte Nvidia also den Wert von SAP, Deutschlands wertvollstem Unternehmen, und BASF, der weltgrößten Chemiefirma, hinzugewonnen - kombiniert, versteht sich.
Mit ihrer schieren neuen Größe bewegt Nvidia automatisch den Gesamtmarkt, doch die Firma ist für viele Analysten und Anleger darüber hinaus zum Stimmungsmesser für die Gesundheit des KI-Sektors, des Techsektors und der Wirtschaft im Ganzen geworden. Über ein Viertel der gesamten Bewegung im US-Leitindex S&P 500 im laufenden Jahr geht auf Nvidia zurück. Die Quartalsberichte von Nvidia werden so gespannt und angespannt beobachtet wie von keiner anderen Firma, ähneln eher der Veröffentlichung von Inflationsdaten. Nvidia ist plötzlich Makroökonomie.
Gut zu wissen: Im Kontext des heutigen Nvidias wirkt es wie weise Voraussicht, dass Regulatoren 2022 der Firma den Kauf des wichtigen Chipdesigners Arm verboten. Mehr dazu, warum Arm wichtig ist, erfährst du in unserem Explainer zum Unternehmen (Link auch am Ende).
Die Zukunft_
(3,5 Minuten Lesezeit)

Der Herold der KI-Industrie
Jensen Huang gerät dank des Erfolgs seiner Firma zum Guru, welcher von Techkonferenz zu Techkonferenz wandelt und Weisheiten teilt. Die relevanteste dürfte folgende sein: „In diesem vergangenen Jahr haben wir gesehen, dass Generative AI ein völlig neuer Anwendungsraum wird, ein ganz neuer Weg, Computer einzusetzen. Eine völlig neue Industrie entsteht und das treibt unser Wachstum.“
Huangs Einschätzung, dass Künstliche Intelligenz zu einer neuen Industrie gerät und nicht etwa nur ein Produkt (oder ein vages Versprechen) ist, wirkt robust. KI ist längst kein reines Gimmick mehr, sondern treibt Produktivität, Produkte, Kundenzufriedenheit und Umsatzzahlen. Sie ist gleichzeitig schon in vielen Bereichen etabliert und hat zudem noch sehr viel unrealisiertes Anwendungspotenzial in Wirtschaft und Alltag. Das macht sie zu einem deutlich nachhaltigeren, ernstzunehmenderen Hype als viele anderen der letzten Jahre (Metaverse, Krypto), egal ob er nun in seiner konkreten Ausgestaltung hier und da übertrieben sein mag.
Grundsätzlich bleibt „Künstliche Intelligenz“ ein vager, breiter Sammelbegriff für eine Reihe unterschiedlicher Techniken rund um (meist) selbstlernende Algorithmen und ihre Anwendungsfälle. Generative AI steht aktuell im Rampenlicht und ist der wohl größte Kandidat für eine transformative, großflächig produktivitätssteigernde Technologie, doch das macht allerlei andere Anwendungen nicht weniger aufregend: Seien es Empfehlungsalgorithmen, die Computer Vision hinter selbstfahrenden Autos oder Mustererkennung, welche alles von Proteinfaltung über Kreditkartenbetrug bis hin zu Krebszellen in MRT-Scans identifiziert.
Aufgrund der Streuung des Felds war es längste Zeit etwas reduktiv, von einer „KI-Industrie“ zu sprechen. Mit Generative AI scheint sich das zu ändern. Die Produkte sind einheitlicher und die Player eindeutiger und die Investitionsvolumina sind gewaltig. Auch die Zulieferer zeichnen sich konkret ab, mit Nvidia als klarer Nummer eins. Besonders erfreulich dürfte für die Firma sein, dass die neue Industrie derzeit keine Schwäche andeutet: Mit jedem Investitionsschub, den ein Techkonzern leistet, wächst der Druck auf dessen Rivalen, nachzuziehen. Drumherum entsteht angetrieben von Wagniskapital ein Ökosystem aus Spezialisten, welche mitmischen und ebenfalls GPUs nachfragen.
Die Risiken voraus
Obwohl Nvidia so gut wie niemand anderes positioniert ist, auf absehbare Zeit vom KI-Boom zu profitieren, gibt es Risiken. Die Firma kommt der aus allen Nähten sprengenden Nachfrage nicht hinterher, was für Kunden und Konkurrenten gleichermaßen den Anreiz bietet, eigens GPU-Kapazitäten hochzuziehen. Nvidias Traditionsrivale AMD bringt sich mit eigenen KI-Chips in Stellung und versucht, Nvidia über günstigere, einfachere GPUs anzugreifen. Mit für dieses Jahr erwarteten 3,5 Milliarden USD an Umsatz aus KI-Chips bleibt AMD vorerst weitaus kleiner, doch Nvidia hat bewiesen, wie schnell das Wachstum sein kann. In einem neuen Finanzbericht warnte Nvidia außerdem erstmals vor Huawei als „top competitor“. Die Chinesen dürften zwar technologisch noch einige Jahre hinterher liegen, doch investieren viel, um mit Nvidia gleichzuziehen.
Gut zu wissen: AMD wird von Lisa Su angeführt, welche Huangs Cousine ersten Grades ist. Die beiden lernten sich erst kennen, als sie bereits CEOs der rivalisierenden Unternehmen waren.
Auch die eigenen Kunden sind ein Risiko. Sie ärgert nicht nur der Flaschenhals beim Angebot, sondern auch, dass Nvidia mit seiner marktbeherrschenden Stellung eine hohe Marge abgreift. Obendrein ist die Firma zu zentral in einem wichtigen Produkt- und Innovationsstrang platziert; ein Risiko für die Konzerne. Vertikale Integration, also die Chipherstellung ins eigene Haus zu holen, ist intuitiv, wenn auch teuer. Microsoft, Amazon und Google arbeiten bekanntermaßen an eigenen GPUs, um Nvidia perspektivisch zu ersetzen. Diese wenigen Techkonzerne sind derzeit ein großer Teil von Nvidias Erfolg; sie machten zuletzt über die Hälfte des Umsatzes in der Datenzentren-Sparte aus, welche wiederum knapp die Hälfte des Nvidia-Umsatzes stellt (bei den Datenzentren geht es ebenfalls um KI). Und die Firma musste einräumen, dass 19 Prozent des Umsatzes 2023 von einem einzigen Kunden stammten, fraglos einer der drei obigen. Gelingt es diesen Großkunden, sich von Nvidia zu emanzipieren, wäre es ein schwerer Schlag für den Hersteller.
Nichtsdestotrotz ist, Stand jetzt, nicht zu erkennen, dass Nvidia in nächster Zeit in Schwierigkeiten gerät. Umsatzwachstum, Begeisterung und Aktienpreis werden spätestens mit dem Hochfahren der Konkurrenz etwas sinken – sprich, sich beruhigen –, doch die neue KI-Industrie und Nvidias Rolle darin sind zu wichtig, um allzu schnell wieder von der Bildfläche zu verschwinden. Es ist schwer zu sagen, ob Nvidia den gemutmaßten "iPhone-Moment" der Generative AI so dominant besetzen können wird, wie Apple es beim Smartphone tat. Doch klar ist, dass das alte Motto nicht mehr gilt: Nvidia ist keine 30 Tage mehr vom Bankrott entfernt.
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