June 29, 2025
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15 Minuten Lesezeit

Das (kleine) Comeback des Goldes

Seine zentrale Rolle im globalen Wirtschaftssystem nimmt es nicht so schnell wieder ein, doch Gold sorgt dennoch für Aufsehen. (Juni 2025)
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Seine zentrale Rolle im globalen Wirtschaftssystem nimmt es nicht so schnell wieder ein, doch Gold sorgt dennoch für Aufsehen.
29.06.2025

Aufstieg und Fall | Das (kleine) Comeback
(15 Minuten Lesezeit)

Blitzzusammenfassung_(in 30 Sekunden)

  • Gold spielt heute vor allem als Anlagewert eine Rolle, doch war früher eng mit dem Währungssystem verbunden, etwa in Form von Goldmünzen.
  • In den 1870ern etablierte sich ein Goldstandard, in welchem der Wert von Papier- und Münzgeld an Gold gekoppelt war.
  • Der Goldstandard funktionierte eher schlecht als recht und wurde im Verlaufe der Krisen zwischen 1914 und 1936 fast überall fallen gelassen.
  • Nach dem Zweiten Weltkrieg existierte der Goldstandard im Hintergrund des Bretton-Woods-Systems weiter, bevor er 1971 endgültig verschwand.
  • Seitdem spielt Gold nur noch als Vermögenswert (und Industriemetall und Luxusgut) eine Rolle – darin schnitt es lange mäßig ab, doch in den letzten Jahren erlebt es einen beachtlichen Wertanstieg.
  • Unsicherheit über die Zukunft des US-Dollars sowie mehr Käufe durch Zentralbanken treiben den Preis – und die etablierte, inhaltlich angreifbare Börsen-Erzählung über Gold als “sicherer Hafen”.
  • Eine neue Komponente von bislang unklarer Größenordnung: Gold wird immer attraktiver für Länder, welche sich resilienter gegen Sanktionen des Westens aufstellen möchten.

Aufstieg und Fall des Goldes_

(10 Minuten Lesezeit)

Ein Gespenst geht um, das an die 1870er erinnert: Gold. Das Edelmetall bildete einst eine der Säulen der globalen Wirtschaft. Heute ist es zwar weit entfernt von einem solchen Status, doch es legt an den Finanzmärkten dennoch ein auffälliges Comeback hin. Das hat einiges an Aussagekraft, allerdings eher über die Politik als über die Wirtschaft von heute.

Gold als Geld

Gold hat und hatte eine Reihe an Funktionen für die Menschen. Das kann ins Esoterische abgleiten: Wer die gewöhnlich durchaus nützliche Investopedia nach dem Wert von Gold befragt, bekommt zu lesen, dass die “Wärme des Goldes” zu unserem “menschlichen Bedürfnis nach Nähe und Geborgenheit” spreche. Die whathappened-Redaktion, der womöglich die gehörige goldbezogene Sentimentalität fehlt, hätte es so zwar nicht ausgedrückt, doch der ästhetische Wert von Gold spielt fraglos seit Jahrtausenden eine Rolle. Der älteste bekannte Goldschmuck ist bis zu 6.600 Jahre alt, stammt aus Bulgarien und scheint zwei Bullen darzustellen.

Dazu kommt, dass Gold lange einen vernünftigen Job als Teil von Währungen geleistet hat. Es ist selten genug, um eine gewisse Währungsstabilität zu bieten, doch verfügbar genug, um für Transaktionen eingesetzt werden zu können (auch wenn es vielerorts eben nicht verfügbar genug war, um hauptsächlich genutzt zu werden). Als Edelmetall reagiert es wenig mit Stoffen wie Luft und Wasser und korrodiert somit nicht, was es seinen Wert über lange Zeit behalten lässt. Es lässt sich einfach prägen und bearbeiten. Es lässt sich gut in kleinere Einheiten trennen (z.B. Münzen) oder einschmelzen, um es in größere Einheiten umzuwandeln (z.B. Goldbarren). Und es lässt sich relativ gut transportieren und lagern, zumindest im Vergleich zu anderem Warengeld (gegen Papiergeld hat es hierbei keine Chance).

Entsprechend gab es bereits in der Antike und im Mittelalter Münzen aus Gold, auch wenn Silber, Kupfer oder Messing die meiste Zeit verbreiteter waren. Gold kam dabei stärker im Außenhandel zum Einsatz oder diente als Luxus- und Statusobjekt. Viele Länder koppelten über die Jahrtausende ihre Währungen an den Wert von zwei Metallen, häufig Gold und Silber, und verfolgten damit einen “Bimetallismus” (doch auch Silberstandards kamen häufig vor, etwa in Teilen Deutschlands, Indien und China). Die Kopplung an reale, anfassbare Edelmetalle sollte Vertrauen in die Währungen garantieren und damit ihre Funktion als Währung überhaupt erst ermöglichen. Die eigentlichen Münzen im Umlauf bestanden teilweise aus besagten Metallen, teilweise stellten sie lediglich einen Anspruch auf sie dar.

Gut zu wissen: Eine Währung oder “Geld” muss im Kern drei Funktionen erfüllen. Es muss Wert messbar und buchhalterisch verrechenbar machen (die Wertmessfunktion), Wert über Zeit aufbewahren können (die Wertaufbewahrungsfunktion) und Transaktionen, sprich Zahlungen, erlauben (Tausch- und Zahlungsfunktion).

Sumerische Ohrringe aus Gold, mit Keilschrift-Inschrift. 2093 bis 2046 v. Chr. Quelle: Osama Shukir Muhammed Amin, wikimedia

Der klassische Goldstandard

Der erste faktische “monometallige” Goldstandard im modernen Sinn entstand 1717 in Großbritannien, quasi aus Versehen. Der berühmte Physiker Isaac Newton, welcher die Münzprägeanstalt Royal Mint leitete, setzte 1717 versehentlich den Wechselkurs von Silber zu Gold zu hoch an. Silber war unterbewertet und wurde deswegen gehortet, statt als Zahlungsmittel eingesetzt zu werden. Am Markt zirkulierten alsbald praktisch nur noch Goldmünzen. 1819 adoptierte London offiziell den Goldstandard.

Großbritannien war bis rund 1830 das einzige relevante Land mit Goldstandard, doch die britische Dominanz in Politik, Wirtschaft und Finanzsystem sorgte dafür, dass er sich in den nächsten Jahrzehnten international durchsetzte. Der Wechsel auf Gold vereinfachte für andere Länder den Handel und die Kreditaufnahme mit dem industriellen Vorreiter Großbritannien. Zudem verdreizehnfachte die Industrialisierung die globale Produktion von Gold und machte einen breiten Goldstandard damit gangbarer, denn es gab mehr Gold, um Währung zu decken. Und je verbreiteter der Goldstandard wurde, umso mehr wuchs der Anreiz für weitere Länder, auf ihn zu wechseln.

Das Deutsche Reich wechselte 1873 vom Silber- zum Goldstandard. Fast zeitgleich tat es die Skandinavische Münzunion. Die Lateinische Münzunion rund um Frankreich, Italien und weitere Staaten wollte eigentlich den Bimetallismus durchsetzen, doch gab 1883 nach und stellte ihre Währungen auf einen Goldstandard um. Die USA hatten sich schon in den 1830ern faktisch vom Bimetallismus in Richtung Goldstandard bewegt (ihn aber erst 1900 offiziell eingeführt). Ab den 1870ern lässt sich damit vom ersten globalen Goldstandard sprechen.

Der spätere Präsident William McKinley auf einem Wahlkampfposter im Jahr 1900: Hier trägt er die USA auf dem Rücken des Goldstandards zum Wohlstand. McKinley setzte sich für die Einführung eines Goldstandards anstelle des Bimetallismus ein. Quelle: Northwestern Litho. Co, Milwaukee, wikimedia

Die Vorteile des Goldstandards

Der Goldstandard bedeutete nicht, dass die lokale Währung unbedingt aus Gold sein musste, sondern dass sie – und sei sie in Papierform – mit einem festen Wechselkurs in Gold übersetzbar war. Die Währung hatte das Edelmetall also als Sicherheit hinterlegt. Und diese Sicherheit zu betonen, hielten die Zentralbanken meist einen gewissen Vorrat an physischem Gold bei sich – im Deutschen Kaiserreich etwa im Wert eines Drittels aller Banknoten im Umlauf.

Inflation und Hyperinflation waren weitaus weniger wahrscheinlich, denn die Währung war ja an Gold gekoppelt – und solange es nicht plötzlich viel mehr Gold gibt, gibt es keinen Grund, warum die Währung an Wert verlieren würde (soweit die Theorie; gleich mehr zur Realität). Der Goldstandard erzwang in der Theorie außerdem mehr Disziplin: Die Bank of England durfte etwa neue Banknoten nur noch ausgeben, wenn sie auch entsprechend Gold ankaufte.

Wechselkurse zwischen Währungen waren klarer, berechenbarer und stabiler, da sie alle (wenn auch auf unterschiedlichen Niveaus) an Gold gekoppelt waren. Damit vereinfachte der Goldstandard den internationalen Handel, förderte den Kapitalfluss, reduzierte die Zahl der Währungskrisen (wenn die eigene Währung gefährlich an Wert verlor) und beugte “Währungskriegen” vor. Bei diesen versuchten Länder, durch eine Währungsabwertung die eigene Handelsbilanz auf Kosten ihrer Wettbewerber zu verbessern – was zu riskanten Unterbietungsspiralen führen konnte. Da alle Währungen nun an das Gold gekoppelt waren, waren solche Dynamiken zwar nicht unmöglich, aber unwahrscheinlicher.

Die Nachteile des Goldstandards

Eine Reihe von Problemen mit dem Goldstandard führte dazu, dass er nach dem Ersten Weltkrieg und nach der globalen Finanzkrise 1929 aufgegeben wurde. Erstens: Der Goldstandard bedeutet, dass ein Land wichtige Teile seines geldpolitischen Werkzeugkastens für den Umgang mit Krisen aufgibt – denn es kann nicht gleichzeitig seine Währung abwerten (um Exporteure zu stärken) bzw. aufwerten (um Importe oder ausländisch denominierte Schulden zu vergünstigen) und sie an Gold gekoppelt lassen. Genauso kann ein Land nicht seine Geldmenge erhöhen (praktisch “Geld drucken”), um die Wirtschaft anzukurbeln, wenn die Geldmenge an Gold gekoppelt ist. Es ist deswegen kein Zufall, dass Länder den Goldstandard inmitten schwerer Krisen aufgaben – dazu gleich.

Nicht einmal der prominenteste Vorteil des Goldstandards ist ganz klar: Die Sicherung der Preisstabilität, sprich, die Vermeidung von Inflation. Auf lange Sicht scheint das zu gelingen und das durchschnittliche Inflationsniveau während des Goldstandards (und bimetallischer Standards) war tatsächlich niedriger als unter einem flexiblen “Float”-System mit Fiatgeld, wie es heute existiert. Das verdeckt allerdings die heftige kurzfristige Volatilität zu Zeiten des Goldstandards: Die Preise schwankten von Jahr zu Jahr weitaus drastischer zwischen Inflation und Deflation (also sinkenden Preisen), als es heute der Fall ist (siehe Grafik).

Unter dem Goldstandard war das durchschnittliche Inflationsniveau in den USA zwar tatsächlich niedriger als unter dem heutigen Float-System aus Fiatwährungen (“Floating” als Abgrenzung zu festen Wechselkursen, z.B. fest an Gold gekoppelt). Die kurzfristigen – praktisch tagtäglichen – Fluktuationen waren jedoch deutlich schwerer, vor allem nach unten, in den deflationären Bereich. Quelle: Warren-Person, NBER, BLS

Die Preisinstabilität lag unter anderem daran, dass das physisch verfügbare Gold mal anstieg, mal schrumpfte. Sei es, weil das eigene Land nicht mehr an genug Gold gelangte (deflationär) oder weil irgendwo plötzlich eine große neue Goldader entdeckt worden war (inflationär). Gold unterlag also Nachfrage- und Angebotsdynamiken, die gar nichts mit der eigenen Volkswirtschaft zu tun hatten, diese aber ganz zentral beeinflussten. Und wuchs die Wirtschaft schneller als die Gold- und somit Geldmenge im Land, wirkte das auch deflationär. Womöglich bremste der Mangel an Geldwachstum sogar das Wirtschaftswachstum.

Gut zu wissen: Ökonomen sind in aller Regel keine Freunde einer Deflation. Erwarten Verbraucher sinkende Preise, verschieben sie Konsum, womit die Firmenumsätze fallen. Firmen könnten nun im Kampf um Kunden die Preise weiter senken (womit ein Anreiz entsteht, noch länger mit Konsum zu warten) oder Mitarbeiter entlassen (womit der Konsum ebenfalls sinkt). Eine Deflationsspirale setzt womöglich ein, welche wachstumsschädlich wirkt und bis zu einer Rezession führen kann – so etwa im Vorfeld der Nazi-Machtergreifung in Deutschland. Außerdem werden Schulden teurer, da jeder geschuldete Euro plötzlich mehr wert ist, was eine kreditabhängige Wirtschaft schwer treffen kann.

Das bedeutet nicht, dass Deflation immer schlecht sein muss. Folgt sie auf eine Phase hoher Inflation (wie zuletzt) und bleibt geringfügig, ist sie harmlos; entsteht sie infolge technologischer Produktivitätssprünge, steht sie für positive Entwicklungen. Und in Japan ist eine lange Deflationsphase der Nebeneffekt einer Wachstumsschwäche – ungünstig, aber eine gefährliche Deflationsspirale erfolgte nie.

Das Ende des Goldstandards

Der “klassische” internationale Goldstandard hielt von etwa 1870 bis 1914, also dem Ersten Weltkrieg. Inmitten der einhergehenden Wirtschaftskrisen und hoher Ausgabenbedarfe gaben Länder den Goldstandard auf, um sich mehr Flexibilität zu verschaffen (siehe “Nachteile” oben). Der Standard zerbrach letztlich auch daran, dass Länder mit hohen Handelsdefiziten – etwa im Zuge des Krieges – ihre Goldreserven rasant abbauen mussten und den Anreiz verloren, ihre Währung weiterhin an Gold zu koppeln.

Nach dem Krieg kehrten einige Länder zum Goldstandard zurück, auch aufgrund hoher Inflationsraten, doch schon ab 1929 wurde er wieder aufgegeben: Die Weltwirtschaftskrise durchzog die Welt; einige Jahre später vom Zweiten Weltkrieg gefolgt. Erneut war der Goldstandard nicht krisengerecht. Vergleicht man das Ende des Goldstandards im jeweiligen Land mit dessen Wachstumsraten, fällt oftmals eine fast beeindruckende Korrelation auf: Kaum war der Goldstandard weg, wuchs das Land (siehe Grafik unten). Einige Studien erkennen ausdrücklich einen Kausalzusammenhang: Zentralbanken konnten ohne Goldstandard eine krisengerechtere Geldpolitik fahren, die Geldmenge wuchs und die Inflationserwartungen der Bevölkerung stiegen an (was deflationäre Trends unterbrach).

Die Dreiecke markieren den Zeitpunkt, an welchem das jeweilige Land den Goldstandard aufgab. Die Y-Achse ist das kaufkraftbereinigte, inflationsbereinigte BIP pro Kopf. Quelle: Will O’Neill, wikimedia

Bretton Woods

Nach dem Zweiten Weltkrieg galt es, eine neue globale finanzielle Ordnung zu finden. 44 Länder handelten 1944 das Bretton-Woods-System aus (benannt nach dem Ort der Konferenz). Eine Rückkehr zum Goldstandard fand nicht statt, auch aufgrund der Erfahrung ab 1914 – und weil die Sowjetunion mit ihren großen Goldvorkommen zu viel Einfluss gehabt hätte. Doch Gold spielte immer noch eine Rolle: Alle Länder erklärten sich bereit, ihre Währung an den US-Dollar zu koppeln – und der US-Dollar wurde an Gold gekoppelt. Das Bretton-Woods-System war damit eher ein internationaler “Dollar-Standard”; der Dollar nahm die Rolle ein, welche Gold zuvor innegehabt hatte. Für die USA herrschte jedoch weiterhin ein Goldstandard: Exakt 35 USD pro Feinunze Gold.

Bretton Woods sollte Stabilität bringen, ähnlich, wie was vom Goldstandard versprochen worden war: Feste Wechselkurse erleichterten Handel und Investitionen und sollten Inflation, Währungskrisen und “Währungskriege” unwahrscheinlicher machen. Der Dollar war eine intuitive Leitwährung: Keine andere Währung war ausreichend verfügbar und vertrauenswürdig – zudem hatten die USA eine einzigartige politische Machtposition und waren ein großer Gläubiger für andere Industriestaaten. Und die USA hatten die weltgrößten Goldreserven. Die Kopplung des Dollars an Gold sollte glaubhaft signalisieren, dass die USA fiskalische Disziplin an den Tag legen und so das Vertrauen in das Bretton-Woods-System stärken.

… und heute

Bretton Woods existierte bis 1971. Die wachsende Wirtschaftskraft der europäischen Länder und anderer Teilnehmer wie Japan steigerte für sie den Anreiz, ihre Geldpolitik wieder mehr in die eigene Hand nehmen zu können, statt sie an der amerikanischen ausrichten zu müssen. Entwicklungen in den USA, etwa der Vietnamkrieg, waren häufig ungünstig in die Bretton-Woods-Staaten “exportiert” worden. Auch für die USA selbst wurde ihr Goldstandard zunehmend unangenehm: Da sie mehr importierten als exportierten (genauer: die Leistungsbilanz negativ war), bauten sie über die Jahre ihre Goldreserven kräftig ab. Gepaart mit Marktdruck durch Investoren, welche zunehmend die Wackligkeit der festen Dollar-Wechselkurse und des amerikanischen Goldstandards erkannten, zerfiel das System in den frühen 1970ern. Im “Nixon-Schock” gab Präsident Richard Nixon 1971 plötzlich bekannt, dass der US-Dollar nicht mehr zu Gold konvertierbar sei. Der amerikanische Goldstandard und Bretton Woods waren faktisch vorbei; einige Jahre später auch offiziell.

Anstelle des Nachkriegssystems trat die Phase, die noch bis heute existiert. Sie ist erstens gekennzeichnet durch grundsätzlich flexible Wechselkurse (“floating”), welche sich abhängig von Nachfrage und Angebot frei bewegen (auch wenn Länder ihre Währung nach Bedarf an eine andere koppeln können, wenn sie sich davon Vorteile in Form von Stabilität, Disziplin oder einfacherem Handel versprechen). Und zweitens von Fiatgeld – also Geld, das keinen intrinsischen Wert besitzt und auch nicht von einem materiellen Gut wie Gold gedeckt wird, sondern nur von einer Zentralbank. In dieser Welt aus Fiatgeld und mehr Wechselkursflexibilität haben Zentralbanken und Regierungen weitaus mehr Einfluss und Wirkmöglichkeit in ihrer Geldpolitik, als es unter Bretton Woods oder dem Goldstandard der Fall war.

Der Goldstandard hat keine gute Reputat

Ökonomen trauern dem Goldstandard mehrheitlich nicht hinterher. In Umfragen äußert sich die meist zerstrittene Zunft überwältigend gegen ihn, in erster Linie aufgrund der unter “Nachteile” von uns geäußerten Argumente (kurzfristige Preisinstabilität, inflexible Geldpolitik, Wachstumsschädlichkeit) und seiner verdächtigten negativen Rolle inmitten der Krisen im frühen 20. Jahrhundert. Studien kommen zu dem Schluss, dass eine heutige Einführung eines Goldstandards äußerst nachteilig und (ironischerweise) volatilitätsverstärkend wäre.

Einige prominente Unterstützer existieren, darunter Alan Greenspan, ein früherer Chef der US-Zentralbank Federal Reserve. In erster Linie findet der Goldstandard heute jedoch Fans unter institutionenkritischen Beobachtern, welche Zentralbanken und Regierungen in Kompetenz oder Absicht misstrauen: Libertäre, Technophile mit Nähe zum Krypto-Spektrum und Verschwörungstheoretiker. Auch gewisse “inflation hawks“, die mit viel Sorge auf Inflation blicken, stehen dem Goldstandard warm gegenüber, auch wenn das eben Schattenseiten seiner Auswirkungen auf die Preisstabilität übersieht. Nicht missverstehen: Hier geht es nicht um Gold als Anlagewert, sondern um den Goldstandard als internationales Ordnungssystem.

Gut zu wissen: 2012 befragte das IGM Economic Experts Panel 39 prominente Ökonomen, ob eine Rückkehr zum Goldstandard bessere Ergebnisse für die Bürger mit Hinblick auf Preisstabilität und Arbeitsmarkt hervorbringen würde. 40 Prozent stimmten nicht zu, 53 Prozent stimmten sehr stark nicht zu und 8 Prozent antworteten nicht. Die Ökonomen lieferten teilweise gleich kurze Begründungen mit. Neben vielen nuancierten Antworten zeigten einige Teilnehmer, wie wenig sie davon hielten, dass die Frage überhaupt zur Debatte stand: “eesh. Has it come to this?”, “Why tie to gold? why not 1982 Bordeaux?” (übrigens vom Nobelpreis-prämierten Richard Thaler) und “A gold standard regime would be a disaster for any large advanced economy. Love of the G.S. implies macroeconomic illiteracy.”

Das (kleine) Comeback_

(4 Minuten Lesezeit)

Die Federal Reserve. Quelle: Pedro Mendes, flickr

Ein Blick auf die Charts

Der Goldstandard mag weg gewesen sein, doch Gold selbst war es selbstverständlich nie: Schätzungsweise 216.265 Tonnen von dem Edelmetall wurden im Verlaufe der Geschichte aus dem Boden gehoben, so der World Gold Council (davon zwei Drittel seit 1950). Gold besaß ab 1971 keine direkte Rolle in der Weltwirtschaft mehr, doch existierte als Material für Industrie- und Konsumgüterzwecke und als Anlagewert an den Finanzmärkten fort. So wie in Aktien oder Anleihen, so ließ sich auch in Gold investieren.

Dass sich in Gold investieren ließ, bedeutete nicht, dass es rückblickend immer eine gute Idee war – es kam stark auf den Zeitraum an. Zwischen 1971 und dem Jahr 2000 wuchs der Goldpreis nur um den Faktor 7,5. Der amerikanische Leitindex S&P 500, welcher die 500 größten Unternehmen des Landes erfasst, legte in derselben Zeit um den Faktor 14 zu. Zwischen 2000 und 2012 sah das Bild andersherum aus: Der Goldpreis versiebenfachte sich; der S&P stagnierte dank Dotcom- und Finanzkrise lediglich. Dann mussten Gold-Investoren wieder viel Geduld mitbringen: Bis 2021 wuchs der Goldpreis so gut wie gar nicht, während sich der S&P 500 mehr als verdreifachte.

Achtung: Für das vergleichende “Endergebnis” zwischen S&P 500 (9,71) und Gold (8,23) spielt der Startzeitpunkt des Indizes eine große Rolle. Wir wählten in dieser Grafik 1996, um möglichst nicht inmitten oder direkt nach der Dotcom-Blase anzusetzen. Interessanter als der reine Vergleich der Endzahlen ist  die Veränderungsrate in bestimmten Zeiträumen und wie Gold und Börsenindex unterschiedlich auf bestimmte Ereignisse reagierten.

In den letzten Jahren wandte sich das Blatt erneut. Lag der Preis von Gold 2021 im Schnitt bei knapp 1.800 USD, so hat er seitdem über 80 Prozent auf ca. 3.320 USD zugelegt. Gar kein übler Wert für viereinhalb Jahre. Der S&P 500 ist im selben Zeitraum rund 45 Prozent gestiegen, also nur fast halb so stark. Noch markanter ist der Vergleich, wenn es nur um das Jahr 2025 geht: Gold legte bisher knapp 30 Prozent zu, der S&P 500 nur 5 Prozent. Der sehr starke DAX 40 schaffte 20 Prozent. Bitcoin nur 1 Prozent. Bitcoin wird gelegentlich das “neue Gold” genannt – doch zumindest aktuell ist Gold das neue Gold.

Nicht alles, das glänzt, ist Gold

Chartanalysen sind weder das Metier der whathappened-Redaktion, noch findet sie diese sonderlich interessant. Doch die “Outperformance” des Goldes hat gewisse Lehren parat. Erstens, zur Psychologie der Finanzmärkte.

Gold funktioniert als antizyklische “Krisenabsicherung”, deren Wert also gerne dann wächst, wenn es wirtschaftlich bergab geht oder Unsicherheit empfunden wird (allerdings längst nicht nur dann und dann auch nicht immer verlässlich). Das ist insofern interessant, als der intrinsische Wert von Gold debattierbar ist und es keinen substantiellen Grund gibt, warum Gold antizyklisch funktionieren sollte. Das Feinmetall wird nicht wertvoller, nur weil die Wirtschaft stockt oder eine Krise um sich greift (im Gegenteil leiden sein Einsatz in Industrie und Luxus). Argumente, dass Gold in einem apokalyptischem Zerfall des Finanz- und Währungssystems eine gesonderte Rolle einnehmen würde, sind wild und angreifbar – und spielen beileibe keine Rolle für die Frage, wohin im Hier und Jetzt das eigene digitale Geld im Trade-Republic-Konto gesteuert werden sollte.

Wie sich die globale Nachfrage nach Gold nach Sektor zusammensetzt, 2010 bis 2024. Quelle: EZB, OMFIF, World Gold Council, Haver

Damit ist Gold vor allem eine sehr gute Erzählung. In hohem Maße besitzt es seine Reputation als sicherer Anlagewert, weil es… eine Reputation als sicherer Anlagewert besitzt. Anders gesagt: Da Anleger erwarten, dass andere Anleger in Gold investieren, sobald die Wirtschaft schlechter läuft, wird Gold zu einer Anlage, die gut funktioniert, wenn die Wirtschaft schlechter läuft. Die Erzählung wird zur selbsterfüllenden Prophezeiung und bestärkt sich damit selbst als rationale Anlagestrategie. Das ist eine Erinnerung daran, dass die Finanzmärkte auf menschlicher Psychologie basieren und keinen irgendwie gearteten “natürlichen” Wert abbilden.

Die multipolare Welt und der Trump-Faktor

Die zweite Lehre der derzeitigen Stärke von Gold an den Finanzmärkten bezieht sich auf geopolitische und makroökonomische Veränderungen. In letzter Zeit haben Beobachter so einiges zu Gold lesen können: Zentralbanken erwarten in den kommenden Monaten deutlich mehr Goldanschaffungen seitens aller Zentralbanken, so eine Umfrage des World Gold Councils (sie äußerten sich dabei nicht zu ihrer eigenen Kaufintention, sondern machten eine globale Einschätzung). Im Gegenzug erwarten sie fallende Dollar in den Reserven. Kurz zuvor war bekannt geworden, dass Gold den Euro als zweitwichtigsten Reservewert hinter dem Dollar überholt hatte und inzwischen 20 Prozent der weltweiten Zentralbankreserven ausmacht (Euro: 16 Prozent, USD: 46 Prozent).

Warum? Erst einmal grundsätzlich: Zentralbanken halten Gold nicht mehr, weil ihre Währungen daran gekoppelt wären. Sondern, weil sie es als guten langfristigen Wertspeicher und damit Stütze gegen Inflation sehen (hier sollte Gold als Anlagewert nicht mit dem Goldstandard als geldpolitisches System verwechselt werden); weil sie die gute Performance von Gold in Krisenzeiten schätzen; und weil sie es als nützliche Diversifizierung in ihrem Portfolio sehen, da Gold nicht allzu sehr mit anderen Währungen korreliert. Das zeigt erneut eine Umfrage des World Gold Councils unter allen 57 Zentralbanken, welche heute Gold halten.

Zentralbanken haben seit der Finanzkrise 2008 (hervorgehoben mit schwarzer Linie) deutlich Gold zugekauft und haben heute ähnlich hohe Goldreserven wie direkt nach dem Ende von Bretton Woods. Der Anteil der Zentralbankreserven am gesamten verfügbaren Gold (“above-ground stock”) ist jedoch relativ stabil geblieben, was auf ein höheres Fördervolumen hindeutet. Quelle: EZB, OMFIF, World Gold Council, Haver

Ein neuer Grund für die Attraktivität von Gold scheint die Zersplitterung oder “Multipolarisierung” der Welt und die sich verändernde Rolle der USA zu sein. Staaten nutzen Gold, um sich unabhängiger vom Dollar und dem Westen zu machen. Denn Gold wird von keiner Zentralbank herausgegeben und von keiner Regierung kontrolliert; es ist damit tatsächlich sanktionsfest.

Das zeigt sich auch in den Daten: Knapp ein Viertel der Zentralbanken in Entwicklungs- und Schwellenländern, welche Gold halten, nennt den Schutz vor Sanktionen als einen Grund – neun an der Zahl. Und fünf Zentralbanken in solchen Ländern nutzen Gold als Teil einer Dedollarisierungspolitik. Wenig überraschend sind es vor allem Staaten, die ideologisch Russland und China nahestehen, welche beschleunigt Gold anschaffen. Sanktionsschutz und Dedollarisierung sind derzeit jedoch noch Randphänomene; anlagestrategische Gründe haben für die Zentralbanken deutlich Vorrang, wie die Umfragen zeigen.

Mehr Nähe zu Russland/China, mehr Gold: Diese Grafik vergleicht den Goldzukauf seit 2021 (Y-Achse, Prozentpunkt-Veränderung im Anteil von Gold zwischen Q4 2021 und Q4 2024) mit der geopolitischen Nähe von Ländern zu Russland und China verglichen mit jener zu den USA (x-Achse, 1.00: sehr nah zu Russland/China). Das Ergebnis ist eine positive Korrelation zwischen geopolitischer Nähe zu Russland und China mit Goldzukäufen. Quelle: EZB, World Gold Council, FRED, Global Sanctions Database, SIPRI, UN, IWF

Auch die Schwäche des Dollars stärkt das Gold. Die erratische Trumpsche Wirtschaftspolitik und (damit zusammenhängend) gewachsene Sorgen über die Nachhaltigkeit der amerikanischen Schulden vertreiben Investoren derzeit in auffälligem Maße aus dem Dollar. Gold ist einer der Anlagewerte, der davon profitiert. Das gilt gleichermaßen für Privatanleger, institutionelle Investoren und auch Zentralbanken, welche ihre Exponiertheit gegenüber dem plötzlich volatiler wirkenden Dollar zurückfahren möchten – ganz ohne dafür geopolitische Motive haben zu müssen.

Gut zu wissen: Misstrauen in die USA unter Donald Trump führt zu Aufrufen in anderen Ländern, ihre in den USA gelagerten Goldreserven zurück in die Heimat zu bringen. In Deutschland fordern das etwa Fabio De Masi, früherer Linkenpolitiker und heute beim BSW, sowie CSU-Politiker Peter Gauweiler; aus Italien gibt es ähnliche Aufrufe.

Ein Fazit_

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Die illegale “La Pampa”-Goldmine in Peru, hier 2017. Quelle: Planet Labs, wikimedia

Das barbarische Relikt

Bedeutet der jüngste Trend also ein “Comeback” von Gold, wie der Titel dieses Explainers andeutet? Als Renditebringer im Portfolio von Investoren hat es das Comeback bereits hingelegt; der Goldpreis hat zuletzt rasant zugelegt und auch Alternativen wie den S&P 500 geschlagen. Als Stütze des globalen Wirtschaftssystems wird Gold jedoch nicht allzu schnell zurückkehren: Zu schwerwiegend sind die Nachteile eines Goldstandards, zu gut funktioniert Fiatgeld. Der Zukauf von Gold als “Sanktionsschutz” ist auffällig, doch muss erst noch beweisen, dass er eine relevante Größenordnung erreichen wird. Derzeit nimmt Gold einfach eine stärkere Rolle als Teil der Diversifizierungsstrategie von Zentralbanken ein.

Der Höhenflug des Goldes ist lukrativ für die Unternehmen, welche aufgrund der steigenden Preise ihre Goldförderung ausweiten – doch er hat auch Schattenseiten. In Peru, Südamerikas größtem Goldproduzenten, expandieren illegale Banden verstärkt aus dem Kokaingeschäft in die Goldförderung. In Venezuela ist es ein offenes Geheimnis, dass die Maduro-Regierung mit Goldmafias zusammenarbeitet. In Kolumbien hat es bereits bewaffneten Konflikte um die Kontrolle über Goldminen gegeben. Im gesamten Amazonasgebiet – vor allem in Brasilien – nimmt die Zahl illegaler Bergbauprojekte durch sogenannte garimpeiros zu.

Gold hat also etwas Polarisierendes. Es kann Investoren reich machen oder sie ein Jahrzehnt lang dämlich drein blicken lassen – während sich Ökonomen in jedem Fall wundern, woher die angeblichen magischen Eigenschaften des Goldes nun bitteschön genau stammen. Es kann einen Staat gegen Sanktionen wappnen oder kriminellen Banden Vorschub leisten. Es kann zum Symbol für die Inflationsbekämpfung und gegen einen überbordenden, undisziplinierten Staat erwachsen – oder die globale Wirtschaft im Umgang mit Krisen schwächen. Damit überrascht es nicht, dass John Maynard Keynes, einer der bekanntesten Ökonomen aller Zeiten, Gold (und den Goldstandard) einst als “barbarisches Relikt” verurteilte – und Investopedia des Edelmetall heute als Quelle von Nähe und Geborgenheit lobt.

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Der Dollar schwächelt (und was tut der Euro?) (2025)

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Das Ende der Atomenergie (2023)
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Zur “Polykrise” 2021/22
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