June 22, 2025
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DefenseTechs: Die neue Generation der Rüstungsfirmen

Startups drängen in den Verteidigungssektor vor und bringen fast immer Künstliche Intelligenz mit.(Juni 2025)
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Startups drängen in den Verteidigungssektor vor und bringen fast immer Künstliche Intelligenz mit.

22.06.2025

Deutschland | Rest der Welt | Trends
(14 Minuten Lesezeit)

Blitzzusammenfassung_(in 30 Sekunden)

  • Defensetechs sind Startups im Verteidigungsbereich. In den letzten Jahren ist eine beachtliche Vielzahl von ihnen entstanden.
  • Oftmals geht es um Drohnen und noch öfter darum, KI ins Militär(gerät) zu bringen.
  • Die Startups geraten immer häufiger zu Partnern und Konkurrenten der etablierten Konzerne rund um RTX, Rheinmetall und Saab.
  • Das wichtigste deutsche (und europäische) Defensetech ist Helsing, welches Drohnen und dazugehörige Software anbietet. Ungeachtet gewisser dissonanter Töne ist es zum wertvollsten Startup Deutschlands aufgestiegen.
  • Auch darüber hinaus existiert ein reges deutsches Startup-Umfeld mit Firmen wie STARK, Arx Robotics und mehr.
  • Das weltweit wichtigste Defensetech ist Anduril aus den USA – welches wenig überraschend weitaus größer ist als sein europäisches Pendant.
  • Die Defensetechs demonstrieren, wie wichtig Drohnen und (elektronischer) Luftkampf derzeit militärisch sind; wie viele Berührungsängste Wagniskapitalgeber gegenüber dem Militär abgelegt haben; wie sehr es der europäischen VC-Szene nach wie vor an Kapital mangelt; und wie sich die gesellschaftliche Rolle des Militärs gerade in Europa verändert.

DefenseTechs in Deutschland_

(8 Minuten Lesezeit)

"Rüstungskonzern" hört sich beinahe etwas altbacken an. Unternehmen wie Rheinmetall, Heckler & Koch oder KrausMaffei klingen eher nach dem vergangenen Jahrhundert, und selbst das stimmt nicht einmal ganz. Deutschlands größter Rüstungskonzern Rheinmetall wurde im Jahr 1889 gegründet, KrausMaffei im Jahr 1838 (auch wenn das Waffensegment erst später folgte) und Heckler & Koch zwar erst 1949, doch geht auf zwei Waffenschmieden aus dem Jahrhundert davor zurück. Zumindest im deutschen und europäischen Kontext ging der anachronistische Klang jahrzehntelang auch mit einer gesellschaftlichen Rolle einher, welche bestenfalls als peripher beschrieben wäre. 

Die Wahrheit ist natürlich, dass das Waffengeschäft keineswegs im Vorjahrhundert stecken geblieben ist. Während es in Deutschland und Europa eher träge lief, gab es global reichlich Nachfrage und Innovationsdruck. Das zeigt sich übrigens auch an den Namen, welche sich (zumindest nach Ansicht der whathappened-Redaktion) immer mehr in Richtung Techfirmen wandelten: Aus Raytheon Technologies wurde RTX, aus British Aerospace wurde BAE Systems, aus der Harris Corporation wurde L3Harris, aus Kraus-Maffei Wegmann wurde KNDS und aus Finmeccanica wurde Leonardo.

Die wohl spannendste Veränderung im laufenden Jahrzehnt hat aber nicht mit Namensgebung zu tun, sondern ist substanzieller. Eine völlig neue Generation von Startup-Rüstungsfirmen ist entstanden und drängt ins Scheinwerferlicht (und da Startupkategorien meist einfach ein "-tech" an einen passenden englischen Begriff klatschen, heißen sie Defensetechs). Mit zumeist hochmodernen, innovativen Produkten geraten die Jungfirmen bereits jetzt zu wichtigen Rivalen und Partnern für die etablierten Riesen – und zu einem relevanten Puzzlestück in der Verteidigungsstrategie vieler Länder.

Defensetech-Startups erleben derzeit einen wahren Boom. Wo die gesamte europäische Startupszene im vergangenen Jahr 11 Prozent weniger Wagniskapital einsammelte, wuchs der Bereich Verteidigung um 24 Prozent auf 5,2 Milliarden USD, so der Analysedienst Dealroom. Ziemlich ungewohnt ist Deutschland dabei mit 1,3 Milliarden USD die Nummer eins auf dem Kontinent. Zugegebenermaßen verdankt es das in hohem Maße einem einzigen Startup, welches zum wichtigsten seines Felds in Europa aufgestiegen ist: Helsing.

Gut zu wissen: Was ist eigentlich genau ein "Defensetech"? Waffen und militärische Aufklärung fallen sehr intuitiv darunter, doch auch Firmen in Bereichen wie Cybersecurity, Quantencomputing, Energie, Robotik und Weltraum werden unter Umständen dazu gezählt. Dealroom rechnete in die oben genannten Zahlen beispielsweise auch große Finanzierungsrunden für die Weltraumfirmen The Exploration Company und Isar Aerospace (beide aus München) hinein.

Helsing

Das wichtigste europäische Defensetech-Startup ist niemand anderes als ein Unicorn aus Deutschland: Helsing. Gegründet wurde es Anfang 2021 in München als KI-Firma von einem Videospielentwickler, einem Machine-Learning-Ingenieur und einem ehemaligen Mitarbeiter im Verteidigungsministerium sowie bei McKinsey. Das ursprüngliche Produkt war eine Software, welche mithilfe von Künstlicher Intelligenz in Echtzeit Schlachtfelddaten analysieren sollte. Die Firma begann damit nur ein Jahr vor der Invasion der Ukraine durch Russland. Passend: Laut einem der Co-Gründer war die russische Annexion der Krim 2014 ein Motivator für die Gründung.

Die Sicherheitswende in Europa beflügelte Helsing. Es schloss 2022 und 2023 Partnerschaften mit Rheinmetall und dem schwedischen Verteidigungsriesen Saab. Die KI-Software des Startups wurde in Hardware – also Kriegsgerät – der beiden Firmen integriert, etwa im Kampfjet Saab JAS 39 Gripen. Auch im Eurofighter Typhoon, dem multinationalen Kampfjet Europas, findet sie sich.

Eurofighter Typhoon der Royal Air Force. Quelle: Chris Lofting, wikimedia

Gut zu wissen: Helsing ist nicht zu verwechseln mit Hensoldt: Eine börsennotierte Rüstungsfirma, welche 2017 aus einem Teil der Airbus-Verteidigungssparte ausgegründet worden ist. Mit knapp 9.000 Mitarbeitern und 2,24 Milliarden EUR Umsatz (2024) ist es beileibe kein Startup (Helsing hat 400 Mitarbeiter). Hensoldt produziert Radarsysteme, Störsysteme ("Jammers") und Optronik-Produkte, was etwa Wärmebildkameras und laserbasierte Zielmarkierungssysteme meint.

Was genau tut die Software? "Cirra" hilft dem Jet und dem "Ground Control" (der Basis am Boden), elektronische Bedrohungen zu erkennen und in Echtzeit zu analysieren. Das macht die Kampfjets widerstandsfähiger gegen Störungen, Täuschungen oder Aufklärung. Genau das ist Helsings Kerngebiet: der "elektronische Kampf".

Dabei ist Helsing inzwischen kein reiner Softwarehersteller, sondern produziert auch eigens Hardware (teils in Kooperation mit dem australischen Hersteller Terminal Autonomy). Auch bei der Hardware geht es in erster Linie um Überlegenheit im elektronischen Kampf. Helsing entwickelt "Loitering Weapon"-Drohnen (in etwa: "herumlungernde Waffe"), welche über einem Zielgebiet kreisen und Angriffsziele identifizieren können, bevor sie in diese einschlagen ("Kamikaze-Drohne" der populärere Begriff für Loitering Weapon).

Die HF-1- und die moderneren HX-2-Drohnen sind solche Waffen. Die hauseigene KI hilft bei der Zielauswahl, der Präzision und der Resilienz gegen elektronische Störer des Gegners – letztere entsteht auch dadurch, dass die Drohnen dank der KI ohne GPS navigieren können und somit nicht auf saubere Kommunikationswege zur Basis angewiesen sind. Tausende dieser Drohnen sind bereits in der Ukraine im Einsatz. Sie werden irgendwo in Süddeutschland produziert, doch wo, verrät das Startup aus ersichtlichen Gründen nicht.

Gut zu wissen: Ein neues Produkt ist die autonome Unterwasserdrohne SG-1 Fathom. Sie soll unter der Wasseroberfläche patrouillieren und somit Schiffe und kritische Infrastruktur schützen können.

Ein Ende von Helsings Erfolg zeichnet sich bislang nicht ab. Es steuert KI-Lösungen für das Future Combat Air System (FCAS) bei, ein zukünftiges europäisches Luftkampfsystem, welches von Airbus und zwei weiteren Firmen koordiniert wird. Die Bundeswehr möchte offenbar Loitering Weapons von Helsing kaufen und könnte das Startup für ihr geheimes KI-Projekt "Uranos KI" auswählen. Die Baltikumstaaten arbeiten mit Helsing zusammen, weswegen es in Estland eine Tochterfirma gegründet hat. Separat davon zahlt die Bundesregierung 40 Millionen EUR, damit Helsing die litauische Ostgrenze mit Sensoren und Drohnen absichert. Mit Großbritannien gibt es einen nicht näher bekannten "Multi-Millionen-Pfund"-Deal. Und zuletzt im Juni kaufte Helsing den bayrischen Flugzeugbauer Grob Aircraft, baut also seine Hardware-Kompetenzen aus.

Helsing glänzt ohne Frage, doch es ist nicht völlig klar, ob alles Gold ist. Bloomberg beschreibt in Interviews mit 40 früheren Mitarbeitern, Investoren und Militärexperten geäußerte "Bedenken" über die Firma. Rheinmetall und Helsing beendeten ihre Partnerschaft im Jahr 2024 aus unbekannten Gründen. Laut Insidern habe die Firma eine hohe Personalfluktuation. Und womöglich am brisantesten: Die Drohnen der Firma seien in der Ukraine von Soldaten an der Front als teuer, fehleranfällig und weniger effektiv als Konkurrenzprodukte beschrieben worden; was mindestens ein Militärblogger und ein Stabsfeldwebel öffentlich taten. Helsing hält dagegen: Ein Großteil des Feedbacks sei positiv (tatsächlich gibt es auch entsprechende Meldungen) und die deutsche Beschaffungsbehörde BAAINBw habe den Preis der Drohnen als angemessen bestätigt.

Ungeachtet jeglicher Fragezeichen erfährt Helsing derzeit viel Aufmerksamkeit von Auftraggebern und Investoren. Bereits im Herbst 2023 schaffte es den Sprung in den Unicorn-Status, also zu einer Milliardenbewertung. Mitte 2024 erhielt es 450 Millionen EUR Finanzierung bei einer stolzen Bewertung von 5 Milliarden EUR; Mitte 2025 folgten noch einmal 600 Millionen EUR bei 12 Milliarden EUR Bewertung. Damit stieg Helsing zum wertvollsten Startup Deutschlands auf. Beteiligt waren zuletzt hauptsächlich amerikanische Wagniskapitalgeber und der schwedische Rüstungskonzern Saab.

STARK & Quantum Systems

Helsing ist keineswegs das einzige deutsche Defensetech-Startup; eine große Zahl von ihnen ist in den letzten Jahren entstanden. Der Loitering-Weapon-Auftrag für die Bundeswehr wird nur teilweise von Helsing geleistet, der andere Teil geht Stark Defense – ebenfalls aus München. Stark produziert die "One Way Effector – Vertical" (OWE-V) Drohne. Sie kann wie die HX-2 auf GPS verzichten, doch ist zudem deutlich größer und ein Senkrechtstarter, was laut Stark Vorteile im Kampfeinsatz habe, da sie keine Startinfrastruktur benötige – und sie besitze ihre Wertschöpfungskette komplett in Europa.

Stark Defense tritt öffentlich kaum in Erscheinung, und das womöglich gezielt. Die Firma wurde vom ehemaligen Bundeswehrpiloten Florian Seibel gegründet, welcher bereits das Startup Quantum Systems leitet. Dieses stellt Aufklärungsdrohnen her, meist für den zivilen Gebrauch, doch inzwischen auch für militärische Zwecke – und ist damit sehr erfolgreich. Das Startup kooperiert etwa mit seinem Investor Airbus und die Firmenbewertung stieg jüngst auf über 1 Milliarde USD. Da einige der Quantum-Investoren nicht in Angriffswaffen investieren durften (darunter Project A), gründete Seibel eine weitere Firma, die sich auf offensive militärische Hardware konzentriert: Stark Defense.

Problematisch für Stark Defense dürfte ausgerechnet der prominenteste seiner Investoren sein: Peter Thiel. Der Paypal-, Facebook- und Palantir-Investor gilt als einer der größten Wagniskapitalgeber aller Zeiten, doch in seinen Geschäftspraktiken und in seiner Politik als umstritten – Thiel ist zutiefst libertär und ein enger Unterstützer von Donald Trump. Gepaart damit, dass das Thiel-Investment offenbar durch Vermittlung des Sohns von Springer-Chef Matthias Döpfner zustande kam, hat Stark genügend Gründe, die deutsche Öffentlichkeit nicht allzu aggressiv zu suchen.

Gut zu wissen: Viele der Defensetech-Startups in diesem Explainer kooperieren stellenweise miteinander, doch es herrscht auch Rivalität. Seibel, der Stark- und Quantum-Systems-Gründer, zweifelte öffentlich Helsings technische Versprechen an, woraufhin die Firma gegen ihn offenbar eine Unterlassungsverfügung erreichte.

Alpine Eagle

Und ansonsten? Alpine Eagle, welches auch der Name für Schweizer Luxusuhren ist, entwickelt eine "Luft-Luft-Drohnenabwehr". Eine Software erkennt feindliche Drohnen und kann, insofern sie als gefährlich eingestuft werden, eigene Drohnen zum Abfangen entsenden. Das Startup wurde erst 2023 in – selbstverständlich – München gegründet, hat bereits die Bundeswehr als Kunden gewonnen und erhielt im März 2025 seine zweite Finanzierung, diesmal über 10 Millionen EUR (über die erste Runde 2023 ist weniger bekannt).

Arx Robotics

Arx Robotics, welches seit 2021 ebenfalls in, richtig, München sitzt, weicht von der bisherigen Liste insofern ab, als es keine Drohnen herstellt. Stattdessen entwickelt es kleine autonome Bodenfahrzeuge, welche ein "fahrendes Schweizer Taschenmesser" sein sollen, indem man sie je nach Mission unterschiedlich modular bestücken kann: mit Radar, Minenräumgerät oder Medizingerät. Da sie auf Ketten fahren, könnten sie auf Beobachter wie Mini-Kampfpanzer aussehen. Laut eigenen Angaben sind einige ARX-Roboter bereits in der Ukraine im Einsatz; zudem ist die Bundeswehr ein Kunde. Und vom NATO-Innovationsfonds NIF gab es im Juni 2024 9 Millionen EUR Kapital. Wie jedes gute Defensetech liefert Arx mit "Mithra" gleich ein eigenes KI-zentrisches Betriebssystem mit.

Dedrone

Dedrone aus Kassel entwickelt seit 2014 dem Namen gerecht Anti-Drohnen-Technologie. Das umfasst Hardware in Form von Sensoren und dazugehörige Software. Auslöser war laut den Gründern, dass ein Mitglied der Piratenpartei 2013 eine Drohne wenige Meter von Kanzlerin Angela Merkel entfernt abstürzen ließ – die Gefahr durch Drohnen sei unterschätzt worden, so die heute kaum kontroverse Aussage. Über die Jahre gab es 130 Millionen USD an Finanzierung, bevor die amerikanische Technologiefirma und Polizeiausrüsterin Axon Enterprise Dedrone 2024 komplett aufkaufte, zu beachtlichen 500 Millionen USD Bewertung. Anders als andere Firmen auf dieser Liste war Dedrone dabei nie als Beitrag zur europäischen Sicherheitsautonomie gedacht, sondern hatte von Anfang an einen Exit in die USA im Blick.

Gut zu wissen: Die bayrische (jedoch nicht Münchner) Firma blackned, mit dem Gründungsjahr 2009 wohl die älteste in dieser Auflistung, wurde Anfang 2025 von Rheinmetall aufgekauft. Sie entwickelt Software für die Digitalisierung von Streitkräften und arbeitet unter anderem mit Rheinmetall, der Bundeswehr und Quantum Systems zusammen.

DefenseTechs weltweit_

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Ein Autonomous Surveillance Tower von Anduril an der US-Südgrenze. Quelle: Defense Visual Information Distribution Service

Anduril

Auch abseits Deutschlands gibt es einen auffälligen Trend zugunsten von Defensetech-Startups. Die womöglich prominenteste Firma ist das US-Startup Anduril Industries. Die Waffenschmiede ist nach einem fiktiven Schwert im Fantasyepos Der Herr der Ringe benannt und wurde 2017 von Palmer Luckey gegründet, dem exzentrischen Gründer der Virtual-Reality-Firma Oculus VR (inzwischen Teil von Meta). 

Anduril stellt wie so viele Startups eigene Drohnen und KI-gestützte Software her, doch hat mit autonomen U-Booten und Augmented-Reality-Helmen für Soldaten zudem exotischere Produktkategorien. An besagten Helmen namens "Eagle Eye" arbeitet Anduril derzeit gemeinsam mit Meta. Ein anderes Stück Einzigartigkeit ist der 10 Meter hohe, solarbetriebene "Autonomous Surveillance Tower" (autonomer Überwachungsturm), von welchen der US-Grenzschutz bereits 200 zur Überwachung von 30 Prozent der Südgrenze einsetze, so Anduril (politisch für die Firma vermutlich kein Problem: CEO Luckey gilt als Trump-Unterstützer). Weitere Kunden für Andurils Produkte sind die britische Royal Navy, das amerikanische Marine Corps, die US Air Force, Taiwan, die australische Marine und Rheinmetall.

Wie man es von einem amerikanischen Startup erwarten würde, bewegt es sich in einer anderen Liga als Europas Vorzeigefirma Helsing: Andurils erst jüngst abgeschlossene Finanzierungsrunde über 2,5 Milliarden USD hob den Firmenwert von 14 auf 30,5 Milliarden USD und brachte es unter die 12 wertvollsten Startups der Welt. Und schon bei einer Runde im vergangenen Jahr hatte Anduril 1,5 Milliarden USD erhalten. Das ist die Art von Summe, welche nur bei gigantischen Startups oder KI-Firmen auftritt – und Anduril ist beides. Und während Helsings Umsatz nicht bekannt ist, hat Anduril für 2024 stolz eine Verdopplung auf die erste Milliardenmarke verkündet.

Shield AI, Epirus und Co.

Weitere namhafte Defensetech-Startups aus den USA: Shield AI, ein Drohnenhersteller, der zuletzt mit 5,3 Milliarden USD bewertet wurde – allerdings mit einem Reputationsschaden kämpft, nachdem die "V-BAT"-Drohne des Startups einem Soldaten die Finger teilweise abtrennte, was vorherige Sicherheitsbedenken zu unterstreichen schien. Epirus, welches Anti-Drohnen-Waffen herstellt und zumindest bis März 2025 1,35 Milliarden USD wert war (die neue Bewertung ist unbekannt); das noch junge Blue Water Autonomy, das große autonome Schiffe entwickeln möchte; und die Drohnenhersteller Darkhive und Vatn Systems. Außerdem White Stork vom früheren Google-CEO Eric Schmidt, welches ebenfalls Drohnen herstellt und damit die Ukraine unterstützt, doch über welches ansonsten recht wenig bekannt ist.

Europa

Außerhalb der USA und Deutschlands hat der Rest Europas so einiges zu bieten. Die Schweizer Firma Auterion vertreibt ein Betriebssystem für zivile und militärische Drohnen und sieht sich damit als "Android der Drohnen". AuterionOS taucht unter anderem in Drohnen von Quantum Systems auf, doch die Firma partnert auch mit den deutschen Rüstungskonzernen Diehl Defence und Rheinmetall, womit das Betriebssystem alsbald mit deren Drohnen integriert werden könnte. Österreichs Blackshark.ai erstellt einen digitalen Zwilling der Erde (also eine präzise 3D-Kartierung) und wurde dafür seit 2020 von Microsoft für dessen Flugsimulator genutzt; jüngst investierte der US-Geheimdienst CIA über den Non-Profit-Fonds In-Q-Tel.

Auffällig (aber nicht überraschend) viele Defensetech-Startups stammen aus der Ukraine oder dem Baltikum. In der Ukraine entwickelt Swarmer eine Software, mit welcher ein einziger Operator einen ganzen Schwarm aus Drohnen gleichzeitig steuern können soll. Griselda bietet derweil fast schon "klassische" KI-getriebene Datenanalyse. The Fourth Law liefert, ähnlich wie Helsing, ein Leitsystem, welches Drohnen gegen Störmanöver (z.B. Jamming) resistent machen soll. In Estland arbeiten FoxFour und DefSecIntel wie so viele andere an (Anti-)Drohnen; doch Milrem Robotics ist eines der seltenen Startups, welches autonome Bodenfahrzeuge herstellt. Ähnlich wie das deutsche Arx Robotics lassen sich die Fahrzeuge wahlweise fürs Minenräumen, für die Truppenevakuierung oder eben auch für den bewaffneten Kampf einsetzen.

Was der Trend aussagt_

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Der neue Buffett: Greg Abel. Quelle: CEO Today

Drohnen dominieren

Die neue Dynamik in der Rüstungsbranche sagt einiges über sie ausErstens könnte Lesern auffallen, dass sich eine große Mehrheit der Startups auf Drohnen und den elektrischen Kampf um diese konzentrieren – kein Wunder, hat der Ukrainekrieg doch die Bedeutsamkeit von Luftüberlegenheit und von günstigen, mobilen Drohnen demonstriert. Die Fluggeräte sorgen für Aufklärung, jagen Soldaten an der vordersten Front, rasen mit Sprengsätzen in Panzer und Truppentransporter hinein, terrorisieren zivile Ziele und zerstören – tief ins Hinterland geschmuggelt – Kampfflugzeuge, welches ein Vielfaches mehr kosten. Kaum ein anderes Militärgerät scheint aktuell eine derart hohe Kosten-Nutzen-Bilanz aufzuweisen.

Wurde der Ukrainekrieg 2022 von Artilleriesystemen wie HIMARS in der Offensive dominiert und 2023 von Landminen als Defensivmaßnahme, so haben ihn seit 2024 die Drohnen fest im Griff. Auch der Krieg zwischen Israel und Iran – in welchen am heutigen 22. Juni übrigens auch die USA eintraten – zeigt die enorme Rolle von Luftüberlegenheit in der modernen Kriegsführung. Kein Wunder also, dass sich viele Startups genau darauf konzentrieren – auch, da sich eine Drohne nun einmal günstiger und mit weniger Vorabrisiko entwickeln lässt, als ein Kampfpanzer.

Gut zu wissen: Ex-Google-CEO Eric Schmidt, welcher erklärt, aufgrund des Ukrainekriegs zu einem "lizenzierten Waffenhändler" gewandelt zu sein, fasst es griffig zusammen: Panzer seien "nutzlos", da eine 5.000 USD teure Drohne einen 5 Millionen USD teuren Panzer zerstören könne. Die provokante Aussage verdient mit Sicherheit gewisse Einschränkungen, doch wird vom Ukrainekrieg eben auch im Grundsatz bestätigt.

Tech trifft Krieg

Zweitens, die Rolle von Künstlicher Intelligenz und anderer Digitaltechnologien. Sie besitzen offenkundige Potenziale für die Kriegsführung, doch sind nicht die natürliche Domäne der großen Rüstungskonzerne. Diese bauen zwar ihre Kompetenzen darin aus, doch kleine, spezialisierte Startups sind häufig näher am "cutting-edge", beweglicher und innovativer. Zudem lassen sich Software und günstige Hardware wie Drohnen wesentlich besser von kleinen Firmen produzieren (und geben ihnen Raum zum experimentieren), als es bei äußerst teurer Einzelhardware wie Panzern, Kriegsschiffen oder ballistischen Raketen der Fall wäre oder bei Dingen wie Munition, wo es in erster Linie auf Produktionsprozesse und Skaleneffekte ankommt.

Die VCs trauen sich

Drittens, die Verbindung von Wagniskapital (VCs) und Waffenschmieden. Der soeben genannte Faktor Digitalisierung, welcher immer stärker Einzug in die Verteidigung findet, bringt die beiden Bereiche näher zueinander, denn Wagniskapitalgeber kennen sich mit Techfirmen und Techprodukten bestens aus. Das baut Berührungsängste ab.

Ein zweiter Faktor ist die sich verändernde gesellschaftliche Rolle und das wachsende politischeKapital für den Verteidigungssektor in Nordamerika und, besonders stark, Europa: Ein VC-Fonds, der sich Investitionen in Waffen verwehrt, hätte damit vor einigen Jahren ein risikoarmes moralisches Statement gesetzt; heute könnte es fast zur kontroversen politischen Positionierung geraten. Andersherum ausgedrückt: Investitionen in Rüstungsfirmen werden heute mit viel weniger Skepsis beäugt – sondern im Gegenteil politisch sogar ausdrücklich erwünscht.

Viertens: Auch bei Defensetech hält eine alte Weisheit über die VC-Welt: Die USA sind Europa weit voraus. Das zeigt der Vergleich der Spitzenstartups Anduril und Helsing oder der Vergleich des Kapitalzuflusses insgesamt (siehe Grafik oben). Apropos Helsing: Bis auf Schwedens Saab und den ebenfalls schwedischen Spotify-Gründer Daniel Ek waren sämtliche nennenswerten Investoren der letzten Finanzierungsrunde amerikanisch. Die deutsche und europäische Defense-Hoffnung ist von amerikanischem Kapital abhängig – kein gutes Signal für jene Beobachter, welche auf mehr Autonomie in der europäischen Verteidigung hoffen. Und ein Indiz dafür, dass der politische Wille zur Unterstützung der Defensetechs in Deutschland keineswegs grenzenlos ist.

Ein Ausblick

Defensetechs werden damit auf absehbare Zeit nicht verschwinden, sondern eher weiter wachsen. Obwohl nicht alles, das glänzt, auch tatsächlich Gold sein wird, ist der Aufstieg der Defensetechs vermutlich eine positive Entwicklung für ihre Ursprungsländer und ihre Kunden – zumindest insofern Beobachter höhere militärische Fähigkeiten als erstrebenswertes Ziel definieren (so mancher möge fähigere Offensivwaffen nicht als "positiv" einstufen). Die Startups werden Innovation und Beweglichkeit in die Verteidigung hineinbringen. Mal durch eigene Ideen, mal dadurch, dass sie die etablierten Rüstungskonzerne dazu bewegen, ebenfalls innovativ zu bleiben.

Ein regelrechter Siegeszug von Defensetechs gegen das "Establishment" ist jedoch nicht vorprogrammiert. Der Verteidigungsbereich bleibt im Großen und Ganzen träge und auf seine Riesen konzentriert. Obwohl die etablierten Konzerne mit den kleinen Firmen oftmals partnern, blicken sie zugleich skeptisch auf die Konkurrenz und dürften Gelegenheiten wahrnehmen, sie zu schwächen. Zudem ist politischen Interessen ausgeliefert zu sein, selten ein Erfolgsrezept für Startups. Ausgerechnet der starke Zufluss von (politisch mobilisiertem) Kapital in die Verteidigung könnte die Wettbewerbslage der Defensetechs erschweren, sollte es in hohem Maße bei den etablierten Firmen landen – und die Geschäftsaussichten wandeln sich mit jedem Regierungswechsel. In der Verteidigungsbranche läuft damit ein ganz eigener Kampf darum, wie sie in der Zukunft aussehen wird.

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