May 13, 2024
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8 Minuten Lesezeit

Novo Nordisk und das Ende der Adipositas

Europas neuerdings wertvollste Firma steht an der Spitze einer spannenden neuen Branche: wirksamen Gewichtsverlustmitteln. (Mai 2024)
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Europas neuerdings wertvollste Firma steht an der Spitze einer spannenden neuen Branche: wirksamen Gewichtsverlustmitteln.
12.05.2024

Die Adipositas | Der Markt | Die Zukunft
(11 Minuten Lesezeit)

Blitzzusammenfassung_(in 30 Sekunden)

  • Gewichtsverlustmedizin rangierte jahrzehntelang zwischen wirkungslos und gefährlich, doch in den letzten Jahren gab es mit GPL-1-Agonisten nachweislich wirksame Medikamente.
  • Wegovy aus dem Hause Novo Nordisk und Zepbound von Eli Lilly haben regelrecht popkulturelle Signifikanz erlangt (ihre Diabetes-Pendants Ozempic und Mounjaro ebenfalls).
  • Für die beiden Konzerne bedeutet das beeindruckende Anstiege bei Umsatz, Gewinn und Marktwert. Novo Nordisk ist von der zweiten Liga zum zweitwertvollsten Pharmakonzern der Welt mutiert; Eli Lilly liegt auf Platz 1.
  • Ein sich veränderndes Marktumfeld und die Risiken einer Turboexpansion werden beide Konzerne, vor allem Novo Nordisk, in den kommenden Jahren vor Schwierigkeiten stellen.
  • Das Potenzial für die Menschheit ist beträchtlich, denn Adipositas wirkt sich längst signifikant auf Wohlergehen und Wohlstand aus. Und gerade Dänemark freut sich über das Wachstum seines Pharmariesen Novo Nordisk.

Der Kampf gegen Adipositas_

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Ein bodenloses Loch

Die Geschichte der Gewichtsverlustmedizin lässt sich als bodenloses Loch, in welches die Menschheit Geld und Zeit wirft, beschreiben. So fasste es der Chemiker Dennis Lowe 2021 in einem Artikel in Science zusammen. Viele Mittel im Verlaufe der Jahrhunderte waren einfach wirkungslos, einige regelrecht gefährlich: Amphetamine sind höchst suchterregend und haben schwere neurologische Nebenwirkungen; "Fen-Phen" führte zu Kreislauf- und Herzklappenkrankheiten; und 2,4-Dinitrophenol (DNP) stört die Produktion des zentralen Energieträgers ATP und löst damit eine beeindruckende Liste an schweren, teils letalen, Effekten aus. Nach Dutzenden Toden wird DNP zwar nicht mehr offiziell gegen Adipositas eingesetzt, aber immerhin noch in der Produktion von Artilleriegranaten, denn der Stoff lässt sich einfach in einen explosiven Zustand bringen. Wer abnehmen wollte, brauchte Änderungen am Lebensstil oder eine bariatrische Chirurgie, sprich Magenverkleinerung.

Für den Kampf gegen das Übergewicht gibt es reichlich Gründe, was die hoffnungsvollen und manchmal verzweifelten Therapieanläufe erklärt. Insbesondere schweres Übergewicht, als Adipositas (Fettleibigkeit) definiert, schränkt das Leben von Betroffenen mitunter gravierend ein und senkt die Lebenszufriedenheit; geht zudem mit vielen medizinischen Folgen für das Individuum und, aufgrund von Effekten auf Gesundheitssysteme und Arbeitsmärkte, höheren Kosten für die Gesellschaft einher. Global kostete Adipositas die Weltwirtschaft schätzungsweise rund 1,96 Billionen USD oder 2,4 Prozent des globalen BIP. Bis 2035 könnte die Zahl aufgrund wachsender Einkommen in Entwicklungs- und Schwellenländern auf 4,32 Billionen USD bzw. circa 3 Prozent des BIP ansteigen, so die World Obesity Federation, ein Partner der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Hinter den Zahlen steckt rund ein Jahr an "verlorenem" Wohlstandszuwachs in den Ländern der Welt; konzentriert zwar auf bereits reichere Staaten, doch eben nicht nur diese, wie unsere Karte zeigt.

Gut zu wissen: Gemessen werden Adipositas und Übergewicht anhand von Grenzwerten im Body-Mass-Index (BMI). Da dieser die Verteilung von Muskel- zu Fettmasse sowie individuelle Varianz ausblendet, ist er als Metrik sehr umstritten und eher als Schätzung nützlich. Ärzte ziehen mitunter auch den Körperfettanteil hinzu.

Die GLP-1-Agonisten

Die bunte Geschichte der Disziplin erklärt die Skepsis und Überraschung, als 2023 eine Reihe von Medikamenten an den Start gingen, welche... tatsächlich zu funktionieren schienen. Sie heißen "GLP-1-Rezeptoragonisten", da sie das körpereigene Darmhormon Glucagon-like Peptide 1 (GLP-1) imitieren. GLP-1 reguliert den Blutzuckerspiegel und schafft ein schnelleres Sättigungsgefühl. 

Ursprünglich wurde GLP-1 im Kontext der Erforschung von Magengeschwüren entdeckt, nämlich von den Forschern Joel Habener, Jens Juul Holst und Daniel Drucker. Sie realisierten früh, dass GLP-1 auch bei Typ-2-Diabetes eine Rolle spielen könnte, schließlich erleben Betroffene aufgrund ihrer Insulinresistenz einen zu hohen Blutzuckerwert (auch wenn die Behandlung im Gegenzug manchmal zu Unterzuckerung führt). Der Verdacht bestätigte sich in einer Studie mehrerer Forscher um Michael Nauck 1993 und das Feld arbeitete an Diabetesmedikamenten auf Basis von GLP-1-Agonisten.

Novo Nordisk war früh an den Studienergebnissen interessiert. Der dänische Konzern war in seiner hundertjährigen Geschichte in erster Linie auf die Erforschung sowie Produktion von Insulin und die Behandlung von Diabetes fokussiert. Er brachte mehrere große Innovationen auf den Markt, darunter das erste mit menschlichem Insulin identische Insulinpräparat im Jahr 1982. Noch heute stellt der Konzern die Hälfte des globalen Insulins her. Mit den Forschern rund um GLP-1 pflegte Novo Nordisk ein "freundliches" Verhältnis, schließlich saß das Unternehmen "gleich um die Ecke" von Jens Holst.

Der Konzern unterstützte externe Forschung, doch mobilisierte vor allem intern viele Ressourcen in die Forschungsrichtung GLP-1. Das führte bis 2012 zu großen klinischen Studien mit dem Wirkstoff Semaglutid, einem GLP-1-Rezeptoragonisten, welcher jeweils 2017 und 2018 in den USA und in der EU als Diabetesmedizin zugelassen wurde. Der Markenname lautete in den USA "Ozempic", in Europa "Rybelsus".

Gut zu wissen: Der Gründungszeitpunkt des dänischen Konzerns Novo Nordisk wird heute meist auf 1923 verortet, als das erste von zwei Unternehmen entstand, aus deren Fusion 1989 Novo Nordisk hervorging: Nordisk Insulinlaboratorium und Novo Terapeutisk Laboratorium.

Von Ozempic zu Wegovy

Die Verbindung zwischen den Diabetesmedikamenten und Gewichtsverlust war intuitiv, immerhin regulierten sie das Hungergefühl. Im Jahr 2021 lieferte eine erste Studie mit Semaglutid das Ergebnis, dass Patienten nach etwas über einem Jahr an wöchentlichen Spritzen im Schnitt 14,9 Prozent Gewicht abnahmen. Die Kontrollgruppe mit einem Placebo kam nur auf 2,4 Prozent. Genauso wichtig war, dass die Nebenwirkungen gering ausfielen. Also brachte Novo Nordisk 2021 "Wegovy" auf den Markt. Wie Ozempic besaß es Semaglutid als Wirkstoff, doch anders als das Diabetesmittel war Wegovy ausdrücklich als Abnehmmittel vermarktet.

Sieben weitere Studien liefen für Semaglutid-Therapien, bevor die amerikanische Gesundheitsbehörde FDA 2021 die Zulassung für Wegovy erteilte, später gefolgt von der EU-Behörde EMA. Die meisten der Studien entsprachen dem Goldstandard der doppelverblindeten randomisierten kontrollierten Studie, bei welchen viele mögliche Störfaktoren ausgeschaltet sind, und fanden auch noch an 536 Standorten in 33 Ländern statt. Die Semaglutid-Therapien konnten sich nicht nur als wirksam und ziemlich sicher beweisen, sondern hatten in separaten Studien auch noch erfreuliche Nebenwirkungen: Die Gefahr für Herzinfarkte oder Schlaganfälle für übergewichtige Patienten mit vorab existierenden Herzerkrankungen sank um 20 Prozent. Im März 2024 erkannte das auch die FDA in ihrer Zulassung an; die EMA prüft noch und benötigt traditionell etwas länger.

Das Rennen um den Markt_

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Novo Nordisks rasanter Höhenflug

Kein Wunder, dass Novo Nordisks Mittel schlagartig zum Popstar wurden. Ozempic und Wegovy erlangten in den USA und kurz darauf im Rest der (wohlhabenden) Welt schnell an Berühmtheit. Prominente wie Elon Musk und Oprah Winfrey priesen die Therapien; auf TikTok gerieten sie zum Begriff. Die Nachfrage schnellte dermaßen hoch, dass Novo Nordisk nicht mit dem Produzieren hinterherkam. Der Umsatz sprang in die Höhe: 2023 allein legte er um fast 35 Prozent zu, was ziemlich genau dem gesamten Anstieg zwischen 2012 und 2018 entsprach. Der Gewinn wuchs sogar noch kräftiger, nämlich um fast 55 Prozent. In den Jahrzehnten davor hatte alles im zweistelligen Bereich bereits ein sehr, sehr gutes Jahr dargestellt. Nicht schlecht für ein 100 Jahre altes Unternehmen.

Der Aktienpreis von Novo Nordisk stieg allein 2023 um fast 90 Prozent; seit 2019 hat er sich versechsfacht. Zum Vergleich: Selbst wenn man beim großen Covid-Gewinner Pfizer die günstigsten Vergleichszeitpunkte vor und mitten im "Impfstoffboom" 2021 anlegt, stieg der Aktienpreis des Pharmakonzerns nur um 70 Prozent. Novo Nordisk hat seinen Marktwert damit auf beeindruckende 570 Milliarden USD gesteigert (2019: 139 Milliarden USD) und den Luxuskonzern LVMH als wertvollstes europäisches Unternehmen verdrängt.

Gut zu wissen: Novo Nordisks Wachstum war so stark, dass es fast eigenhändig für Dänemarks 1,9-Prozent-Wachstum 2023 verantwortlich war. Ohne die Pharmabranche wäre das Land stagniert.

Nicht alles reibungslos

Allerdings ist nicht alles gut im Wunderland der Abnehmpillen. Da wären einmal die Nebenwirkungen, welche bei rund 5 Prozent der Patienten auftreten und im Großen und Ganzen recht harmlos sind, doch die Therapien mitunter nicht fortsetzbar machen. Zudem kann ein Gewichtsverlust auch zu weit gehen, etwa bei älteren Menschen, welche zu viel Muskelmasse einbüßen könnten; und ohne parallele Verhaltensänderungen bleiben Patienten auf die Therapie angewiesen, wenn sie den Gewichtsverlust beibehalten möchten. Immerhin ließen sich Berichte über Verbindungen zu suizidalen und selbstverletzenden Gedanken ließen sich in Analysen nicht bestätigen. Allerdings lässt die hohe Nachfrage bei gleichzeitig zu wenig Angebot gefälschte Produkte an den Markt gehen, welche mitunter Gesundheitsrisiken für Verbraucher bedeuten. In Österreich und im Libanon hat das bereits nachweislich zu Krankenhauseinweisungen geführt.

Abseits der medizinischen Welt kritisieren einige Beobachter in den USA die hohen Preise, welche Novo Nordisk in dem Land durchgesetzt hat: Knapp 1.000 USD monatlich für Ozempic, 1.350 USD für Wegovy, so der Stand Ende April 2024. Der prominente linke Senator Bernie Sanders beklagt, dass das nicht mit Kosten, sondern vor allem mit Marge zu tun habe und sieht darin das Potenzial, "Medicare, das amerikanische Volk und unser gesamtes Gesundheitssystem in den Bankrott zu treiben". Damit einhergehend eröffnen sich klassische Fragen über Zugang und soziale Fairness. Einige Bundesstaaten haben die Abnehmmittel bereits teilweise von ihren öffentlichen Versicherungen ausgeschlossen, so übrigens auch Dänemark.

Die dänische Begründung ist interessant: Wegovy sei "nicht kosteneffizient". In Anbetracht der hohen volkswirtschaftlichen Kosten von Adipositas ist das überraschend. Auch Lars Fruergaard Jorgensen, CEO von Novo Nordisk, widerspricht der Behauptung. Doch der Grund für die Dänen könnte sein, dass sie darauf warten, dass das Feld mehr Wettbewerb erfährt und die Preise zu purzeln beginnen. Das zeichnet sich jetzt bereits ab, denn Novo Nordisk ist nicht mehr allein.

Gut zu wissen: Auch die Lebensmittelbranche ist unzufrieden mit Wegovy und Co. Die Mittel hätten erkennbare Auswirkungen auf die Umsätze der Kunden, welche sie einnehmen, so der hochrangige Walmart-Manager John Furner gegenüber Bloomberg.

Der Wettbewerb wächst

Der US-Pharmakonzern Eli Lilly ist ebenfalls bereits im Feld der Abnehmmittel aktiv. Das Mittel Zepbound ist die "offizielle" Variante des Diabetesmittels Mounjaro, welches seit seiner Zulassung 2022 von vielen Menschen als Abnehmmittel genutzt worden war. Ende 2023 erhielt dann auch Zepbound die Zulassung der FDA, als zweites Abnehmmittel neben Wegovy (Ozempic und Mounjaro bleiben offiziell reine Diabetesmedikamente). Der Wirkstoff hinter Zepbound heißt Tirzepatid und fungiert wie Semaglutid als GLP-1-Agonist. Der Gewichtsverlusteffekt scheint bei Tirzepatid etwas stärker auszufallen, die Nebenwirkungen allerdings ebenso. Ob es wie Semaglutid positive Effekte auf die Herzgesundheit hat, ist noch unbekannt. Darüber hinaus arbeitet Eli Lilly bereits an neuen "Versionen": Orforglipron und Retatrutide, welche beide bislang Grund zur Annahme bieten, dass sie noch wirksamer als Wegovy und Zepbound sein werden.

Im Hintergrund macht sich mindestens ein halbes Dutzend Firmen bereit, in den Markt vorzudringen. Am weitesten ist Amgen, dessen MariTide womöglich noch einfacher anzuwenden ist als Wegovy und Zepbound. Auch die Konzerne AstraZeneca und Pfizer arbeiten an Abnehmpillen, sind allerdings noch viele Jahre von einer Markteinführung entfernt. Das nach Marktwert größte Pharmaunternehmen Deutschlands, Boehringer Ingelheim, ist mit seinem Medikament Survodutide dagegen bereits recht weit fortgeschritten und konnte bisher 19 Prozent Gewichtsverlust nach 46 Wochen feststellen, doch dürfte auch nicht vor 2027 an den Markt gehen. Und mit Viking Therapeutics, Altimmune und Structure Therapeutics versuchen auch einige kleinere Biotechs mitzumischen.

Für Endkunden und Versicherer ist die wachsende Konkurrenz ein gutes Zeichen. Für das Duopol aus Eli Lilly und Novo Nordisk dagegen überhaupt nicht. Nicht nur, weil ihr aktueller Umsatz vermutlich nicht langfristig haltbar sein wird und bereits erste Preissenkungen angekündigt sind, sondern auch, weil die Bemühungen, die Wettbewerbsposition zu erhalten, riskante Änderungen bedeuten.

Novo Nordisk wagt die Evolutionilometer Distanz

Novo Nordisk durchläuft aktuell gleich mehrere Zeitenwenden. Zum einen wagt sich der Diabetesspezialist mit Wegovy in die völlig neue Branche der Gewichtsverlusttherapien. Der Kundenstamm hat sich damit signifikant in die USA verlagert, wo 2023 rund zwei Drittel der Ozempic-Umsätze und 100 Prozent der Wegovy-Umsätze herstammten. Das bedeutet neue Kunden- und Lieferkettenbeziehungen sowie einen stärkeren Umgang mit US-Regulatoren, inklusive des streitbaren Kongresses. Und: Der Konzern muss kräftig aufrüsten, um in Anbetracht der riesigen Nachfrage keine Marktanteile kampflos an Eli Lilly und neue Rivalen zu überlassen.

Die aktuelle Belegschaft von 64.000 Mitarbeitern stockt Novo Nordisk derzeit deutlich auf. Allein im vergangenen Jahr kamen 10.000 Mitarbeiter und Hunderte Manager hinzu, während parallel 6 Milliarden USD in den Ausbau von Produktionsanlagen flossen; das Vierfache der Investitionssumme von 2022. Viele der Anlagen und Büros entstehen in den USA, also näher an den neuen Kunden. Eine solche rasante Vergrößerung und Internationalisierung ist allerdings ein gewaltiges logistisches und organisatorisches Risiko, wie jedes schnellwachsende Startup weiß. Novo Nordisk könnte sich überschätzen und Ineffizienzen einladen, welche die Firma in den Folgejahren belasten; oder die eigene Firmenkultur verlieren, mit möglichen negativen Langzeitfolgen für Innovation, Qualitätskontrolle oder Kundenfokus. 

Gut zu wissen: Novo Nordisk besitzt seit den 1990ern einen Kodex namens "Novo Nordisk Weg", welcher 10 Prinzipien formuliert. Diese sind einige der generischsten, welche der whathappened-Redaktion jemals begegnet sind. Darunter: "Wir bauen gute Beziehungen zu unseren Stakeholdern auf und bewahren sie."

Die Zukunft_

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Wie geht es für Novo Nordisk und das neue Feld also weiter? Einige Entwicklungen sind in der Glaskugel sehr klar, andere weniger. Die Patente für Ozempic und Wegovy laufen noch bis 2032, soviel ist klar. Bis dahin kann der Konzern mit seinen Medikamenten seelenruhig Geld machen, ohne sich über Generika, also günstigere Imitate, Sorgen machen zu müssen. Wie viel Geld, ist allerdings unklar, denn weitere Markteintritte (mit eigenen Patenten) und Druck durch den bereits existierenden Rivalen Eli Lilly sind garantiert. Nicht alle Analysten sind deswegen von Novo Nordisks Höhenflug überzeugt; einige werten ihn als vorübergehenden Glücksfall. Das Unternehmen müsse sich diversifizieren, um nicht nur Abnehmmittel und das ohnehin unter Druck geratene Insulingeschäft als Standbeine zu besitzen. Das sind theoretisch valide Argumente, welche Anlegern bislang allerdings noch kein Geld gemacht hätten und zukünftig eben auch davon abhängen werden, wie erfolgreich Novo Nordisk seine Marktposition verteidigt bekommt.

Das Land

Auch für Dänemark hat Novo Nordisks Pfad große Auswirkungen. Der Konzern trieb im Grunde das gesamte BIP-Wachstum 2023, wie wir oben bereits schrieben. Er zahlt so viele Steuern wie kein anderes Unternehmen im Land, nämlich 15 Prozent der gesamten Unternehmenssteuer Dänemarks. Und obwohl es nur 1 Prozent des dänischen Arbeitsmarkts bindet, fügte es im vergangenen Jahr 20 Prozent aller neuen Jobs hinzu. Die hohen Investitionen des Konzerns könnten ganze Städte transformieren, etwa das kleine Kalundborg, wo über einige Jahre 8,6 Milliarden USD investiert werden sollen – die größte Industrie-Einzelinvestition in der Geschichte Dänemarks.

Für Dänemark bedeutet Novo Nordisks Aufstieg einen beispiellosen Wohlstandszuwachs. Sollte das Unternehmen zurückfallen, könnte dieser allerdings jäh enden. Im schlimmsten Fall droht ein Nokia-Szenario: Der Niedergang des einstigen Handyherstellers traf die finnische Wirtschaft schwer. Im Falle von Novo Nordisk wirkt das weniger riskant, da die Pharmabranche weniger arbeits- und lieferantenintensiv ist, also weniger stark mit der übrigen Wirtschaft verwoben, als es Nokia in Finnland war.

Die Welt

Und dann wäre da noch die gesamte Menschheit. Die neuen Abnehmmittel bieten eine echte Chance, die Zivilisationskrankheit Adipositas einzudämmen. Das hätte bahnbrechende Folgen für Volksgesundheit und -wirtschaft, auch in Entwicklungs- und Schwellenländern, welchen in den kommenden Jahrzehnten steigende Adipositasquoten drohen. Selbstverständlich wissen wir bisher nicht, wie Wegovy und Co. auf die sehr lange Frist bei den Patienten wirken und auch nicht, ob sie lediglich zu einem "Reichenspielzeug" geraten werden. Bei ersterem bietet die hohe Zahl an hochqualitativen Studien mitsamt offizieller Zulassungen Grund zum Optimismus, da nirgendwo Langfristnachteile erkannt wurden; letzteres ist eine Funktion des Preisverfalls durch mehr Wettbewerb, welcher sehr wahrscheinlich ist.

Ob die modernen Abnehmmittel das "Ende der Adipositas" bedeuten können, wie es manche Beobachter beschwören, sei dahingestellt. Doch das Feld der Gewichtsverlustmedizin ist eindeutig kein bodenloses Loch mehr. Das ist eine positive Entwicklung.

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